verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Handwerkskunst (Seite 1 von 5)

In dieser Rubrik wurde Schrift nicht zweidimensional gedruckt, gemalt oder aufgeklebt, sondern gemeißelt, geschmiedet, gefräst oder gelasert. Und das hat sichtbaren Einfluss auf ihre Formgebung.

07.11.2025

Kennt Ihr diese alten, traditionsreichen Läden für Schuhe, Spielwaren oder Haushaltswaren, bei denen die Schaufensterdekoration das komplette Gegenteil einer Edelboutique wie Prada oder Louis Vuitton ist? Wo nicht auf 4 Metern Fensterfront auf spartanischen Warensockeln ein, zwei Paar Schuhe oder Handtaschen stehen, sondern das gefühlt komplette Sortiment in die Auslage gepackt wurde? Ich liebe sie, und je diverser das Sortiment ist, desto neugieriger bin ich, so einen Laden zu betreten und in den Regalen zu stöbern.

Genau so einen Laden entdeckte ich am Ankunftstag meiner Reise nach Freiburg, in direkter Nachbarschaft zur bezogenen Unterkunft. »Oh!«, dachte ich, »Die haben bestimmt so ein Pilzmesser, nach dem ich gerade suche!« – und zwar ein kleines, stabiles Klappmesser mit einer leicht gebogegen Klinge, jedoch unter 5 cm Länge, um die (aus meiner Sicht fragwürdigen) jüngst eingeführten Waffenkontrollzonenvorschriften in Großstädten wie Hamburg und Berlin zu umgehen und einer Konfiszierung meines Natur-Ausflugszubehörs vorzubeugen. Und siehe da, sie hatten eins.

Schon vor dem Kauf stand ich längere Zeit vor dem Schaufenster, sah mir das bunt gewürfelte Angebot an und bemerkte natürlich auch die teilweise schon recht verwaschenen Schriftzüge, die mit weißer Farbe von innen auf die Scheiben aufgetragen worden waren und über die Jahre (oder Jahrzehnte?) durch die notwendige Fensterpflege sichtlich gelitten hatten. Da musste natürlich ein Foto für meine Sammlung geknipst werden.

Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1925, hat also in diesem Jahr ein sattes 100jähriges Jubiläum zu feiern. Wann die Schrift auf die Scheiben aufgemalt wurde, war leider per Recherche nicht zu ermitteln.

»Der Eisenwarenladen Luitpold Bauer ist ein unwahrscheinliches Geschäft. Dem Siegeszug der Baumärkte hat er genauso getrotzt wie dem Ladensterben in der Innenstadt. Nun feiert der Traditionsladen 100-Jahr Jubiläum.
(…)
Übers Jahr seien etwa die Hälfte ihrer Kunden Touristen, die andere Hälfte Freiburger. Die einen wollen Mitbringsel, die anderen kommen wegen eines konkreten Problems. Die Rückmeldungen seien gut, teils sogar hymnisch. Touristen seien begeistert, dass es solch einen Laden gibt, Freiburger freuten sich, dass es den Laden immer noch gibt.«

QUELLE: BADISCHE ZEITUNG

Trotzdem habe ich natürlich wieder die Herausforderung angenommen, dem Ursprung der Beschriftung durch etwas typographische Detektivarbeit ein wenig näherzukommen. Dazu habe ich die verblassten Buchstaben zunächst vervollständigt, sodass sie besser erkennbar werden.

Der Name des Ladens, der Ende 2022 durch die ehemaligen Landschaftsgärtner Thomas Weisser und Nico Winterhalter übernommen wurde und sich somit aktuell nicht mehr im Familienbesitz befindet, ist in einer fetten Kursive mit teilweise verbundenen Buchstaben gesetzt, die ich gefühlt irgendwo zwischen den 1930er und 1960er Jahren verorten würde. Die auffallendsten Zeichen sind aus meiner Sicht das große und kleine L, sowie das d. Sehr wahrscheinlich wurde die Schrift – gewiss von einem professionellen Schildermaler – seinerzeit von Hand auf die Glasflächen aufgetragen, wie der erodierte Pinselduktus der Farbflächen erahnen lässt. Insofern war ich nicht überrascht, keine 100%ig übereinstimmende kommerzielle Schriftart dafür zu finden. Aber es gibt ein paar Favoriten, die für mein Auge eine recht ähnliche Anmutung (oder »look and feel«) haben.

Meine Auswahl an »Schriftverwandten« umfasst drei Fonts: Die »Splendor« (Ralph M. Unger, 1930 für Schriftguß AG, Dresden), die »Impuls« (Paul Zimmermann, 1954 veröffentlicht durch Johannes Wagner/Ludwig Wagner, VEB Typoart) und – bis auf die Großbuchstaben – die »Cochin Black Italic«. Georges Peignot entwarf die Grundform der Cochin um 1914 auf Basis von Kupferstichen aus dem 18. Jh. für das Pariser Schriftenhaus Deberny & Peignot. Später wurde die Schrift. u.a. von Matthew Carter und Sol Hess überarbeitet und z.T. ausgebaut und der Schriftenhersteller URW erweiterte die Schriftart (1995?) um den extrafetten kursiven Schnitt im nachfolgenden Bild. Die Zeitspanne für die vermuteten stilistischen Wurzeln der Werbeinschrift umfassen dadurch aber noch immer das weite Feld zwischen 1925 (dem Jahr der Geschäftsgründung) und ca. Mitte der 1950er Jahre.

Die zweite Zeile mit ihren kantigen, fast »techno-artig« wirkenden Buchstaben wirkt da schon weitaus moderner. Als optisch sehr ähnliche Schrift fiel mir sofort die »Serpentine« des US-Designers Dick Jensen ein, die er 1972 für die Visual Graphics Corporation entworfen hat. Sie läuft zwar nicht ganz so breit wie die Unterzeile auf dem Fenster, aber auch hier stimmt m.E. die Anmutung.

Ich persönlich neige zu der Annahme, dass der Schriftzug nicht ganz so alt ist wie das Unternehmen selbst, zumal ich auch nicht herausfinden konnte, seit wann das Ladengeschäft an der heutigen Adresse ansässig ist. Meine Hypothese ist, dass der obere Schriftzug bereits etwas nostalgisch wirkte, als die Bemalung des Fensters stattfand, dass die Unterzeile hingegen dem eher moderneren damaligen Zeitgeschmack entsprach – meine Schätzung liegt zwischen 1965 und 1975. Eine bereits im Gründungsjahr mit Farbe aufgetragene Beschriftung hätte zudem 100 Jahre regelmäßige Scheibenreinigung kaum in derart guter Verfassung überstanden.

Wer weitere Indizien hat, um das Alter der Schaufensterzeilen plausibel zu bestimmen oder es auch gänzlich anders einzuordnen, möge sich sehr gerne melden! 🤓 🔠 🫆


Update: Nachträglich kam noch ein interessantes Rechercheergebnis hinzu. Als ich noch weiter suchte, um das Eröffnungsdatum des Ladengeschäfts an der heutigen Adresse herauszufinden, fiel mir auf der rudimentären Website des Unternehmens auf, dass dort eine »modernere« Variante des Logos am Seitenkopf eingesetzt wird. Die Unterzeile erkannte ich sofort als die populäre »Science-Fiction-Schrift« mit dem Namen »Bank Gothic« (Morris Fuller Benton für ATF, 1930). Die Schreibschrift hingegen ist unter mehreren Namen in Umlauf: Die Ur-Version wurde offenbar vom deutschen Schriftgestalter Erich Mollowitz entworfen und von der Schriftgießerei J. D. Trennert & Sohn in Hamburg-Altona unter dem Namen »Forelle« herausgebracht. Ein zweiter Name für die gleiche Schrift, jedoch verlegt von der Schriftgießerei C. E. Weber im selben Jahr, ist »Rheingold«. 1954 interpretierte das britische Schrifthaus Stephenson Blake in Sheffield die Schrift und brachte sie in zwei Schnitten als »Mercury« und »Mercury Light« heraus. 2010 wurde die Schrift als »Forelle Pro« digitalisiert und ausgebaut von RMU (Ralph Michael Unger Typedesign) und kurz zuvor im Jahr 2007 hat auch der Designer Nick Curtis (Nick’s Fonts) seine Version davon veröffentlicht und nennt sie »Jaunty Gent«. Es gibt zwar noch einige andere freie und kostenpflichtige Versionen, aber die vorgenannten sind wohl die bedeutsamsten.

Diese neue Website-Version des Logos bestätigt m.E. die Vermutung, dass der Schriftzug nicht mit käuflichen Schriftarten erstellt wurde, so dass sogar die Inhaber mit einem nachempfundenen Entwurf online gehen mussten. Im Vergleich macht die »Forelle« einen guten Job, die unterkühlte Bank Gothic in der Unterzeile jedoch hat deutlich weniger Charme, finde ich.

13.10.2025

Um das typographische Montagsbonbon von heute aus der Nähe fotografieren zu können, hielt ich auf einem Wochenendausflug mit dem Auto bei der Durchfahrt des Ortes Jerichow in Sachsen-Anhalt extra kurz am Straßenrand an. Brötchen oder Brot gab es leider nicht zu kaufen, der Betrieb und das Ladengeschäft der benannten Bäckerei sind offenbar schon seit langem geschlossen. Es findet sich ein historisches Foto im Netz, das Mitarbeiter der gleichnamigen Bäckerei vor der Tür eines Bäckerladens zeigt. Allerdings weichen dort sowohl die Fassade des Hauses als auch die Adressangabe vom Fundort des schmuckvollen Reliefs auf meinem Schnappschuss ab.

Interessant ist hier auch das Detail, dass die letzte Zeile aus der Zentrierung fällt. Es wirkt fast so, als hätte anfangs – womöglich versehentlich – ein weiterer Buchstabe am Ende des Namens gestanden (»Schulze«), der nachträglich wieder abgetragen wurde.

Um so erfreulicher aber, dass dieses Werk die Jahrzehnte seit dem Ende der Geschäftstätigkeit des Betriebes in einem so guten Zustand überdauert hat. Sind die Ligaturen von ck und ch nicht grandios? 🤓 🔠 🥨

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29.09.2025

Am ersten Abend meiner kürzlichen Reise nach Freiburg galt es, ein Restaurant fürs Dinner zu finden, spontan und ohne Reservierung. Die Kombination aus einer vielversprechenden Speisekarte und einem freien Tisch fand sich schließlich im Hotel & Restaurant »Der Kaiser«. In einem der größeren Gasträume saß ich dann direkt neben einer antiken Anrichte, in deren verglasten Fächern einige sporadisch verteilte historische Deko-Geschirrstücke standen – darunter auch diese große Steingut-Vorratsdose mit der eingebrannten Aufschrift »GRAUPEN«.

Die schablonenartigen, kantigen Jugendstil-Lettern, ihre spannende Kombination aus Geometrie und handwerklichen Unregelmäßigkeiten und die harmonisch kombinierte Farbpalette des Ornaments darunter ließen mich das rustikale Objekt als Fotomotiv für die Rubrik des typographischen Montagsbonbons auswählen. Nach dem Bezahlen traute ich mich dann, in einer Hauruckaktion die Vitrine für zwei Sekunden aufzuschließen (um hinter die Reflexionen auf der Glasscheibe zu kommen) und aus der freien Hand einen schnellen, aufgrund des gedämpften Lichts leider etwas unscharfen Schnappschuss zu machen.

Einander ähnliche Varianten dieser Schrift sind auf Vorratsbehältern vergleichbaren Alters häufiger anzutreffen, wie eine Bildersuche mit den Wörtern »Jugendstil«, »Vorratsdose«, »Steingut«, »Porzellan«, »Keramik« ergab. Ein Foto mit weiteren Behältern aus der gleichen Serie oder eine exakt entsprechende kommerzielle Schriftart fand ich leider nicht.

Den verwackelten Schriftzug im Foto habe ich nachträglich etwas restauriert und parallel auch noch mal frei nachgezeichnet. Kennt eigentlich noch irgendjemand das »Oma-Food« Graupen? Isst das noch wer? Ich habe sehr lange keine gegessen, aber man kann damit, glaube ich, ziemlich fein kochen. 🤓 🔠

➡️ https://www.foodboom.de/rezept/skrei-mit-rote-bete-graupen-risotto

26.09.2025

Ich bin immer noch ein bisschen frustriert. Vorletzte Woche ergab sich für mich die Gelegenheit für eine Kurzreise nach Freiburg im Breisgau mit einigen schönen kulturellen Unternehmungen am Wochenende. Anreise am Mittwoch, fünf Tage Aufenthalt, Abreise am Mittwoch darauf. Doch wie das Schicksal es wollte, spürte ich schon am Freitagmorgen erste Anzeichen einer starken Erkältung nahen, die mich gen Abend zur Bettruhe zwangen. Am Samstag versuchte ich, mich mühevoll mit Medikamenten im aufrechten Gang zu halten. Ein Fehler offenbar, denn der Preis war ein kompletter Sonntag im Bett. Erst am Montag war Besserung spürbar. Und so entgingen mir auch etliche Stunden, die ich ansonsten in der geschichtsträchtigen Stadt umhergestromert wäre, um neues Futter für meine Fundstücksammlung zu erhaschen. 😒

Nichtsdestotrotz stand aber noch am Donnerstag vor dem Siechtum ein Tagesausflug nach Basel auf dem Plan. Und dort erspähte ich auf dem Weg durch die Gassen an einem großen, offiziell aussehenden und teilweise wegen Bauarbeiten eingerüsteten historischen Bauwerk, an den Seiten einer Toreinfahrt, dieses famose handgemalte, dreisprachige Verbotsschild:

Allein dass pro Sprache eigens verschiedene Schriften zur Anwendung kommen, begeisterte mein Typo-Herz. Dass diese Schriften dann auch noch – jede für sich – viele wundervolle kleine Besonderheiten besaßen, ließ es noch höher schlagen. Der eingerollte Schnörkel beim h und das elegant geschlaufte a bei den deutschen Zeilen. Das kalligraphisch geschwungene P und die oben offene a-Form im französischen Text. Und nicht zuletzt die avantgardistischen g und das abgewinkelte t bei dem italienischen Schriftzug. Wie schön!

Was war das für ein Gebäude? Warum die drei Sprachen trotz der größtenteils deutschsprachigen Basler Bevölkerung? Was war wohl die Motivation zur Auswahl genau dieser drei Schriften? Meine Neugier war mal wieder geweckt.

Bei dem Gebäude, so fand ich heraus, handelt es sich um die ehemalige Basler Hauptpost. Seit Ende August 2023 und noch voraussichtlich bis Dezember 2025 wird der sechsstöckige denkmalgeschützte Komplex nach Entwürfen des Architekturbüros Herzog & de Meuron zu einem edlen Laden-​ und Bürogebäude umgebaut und saniert. Die abgebildete Inschrift fand ich seitlich einer Toröffnung an der Westfassade in Höhe der Gerbergasse 13, rechts unterhalb des von einem Staffelgiebel gekrönten Eckvorbaus (Risalit). Auf einem aktuell im Rahmen der Bauarbeiten veröffentlichten Foto kann man die Stelle sehr gut sehen.

Das Bauwerk hat eine lange zurückreichende Geschichte. In seiner vor der Renovierung bestehenden Form wurde es in mehreren Bauphasen 1851–53/1881 aus rotem Saverner Sandstein auf dem Gelände eines ehemaligen Kaufhauses (!) aus dem 14. Jh. erbaut. Das historische Portal dieses Kaufhauses sowie ein Original-Relief aus dem Jahr 1572, auf dem zwei Basilisken das Basler Wappen halten, sind bis heute erhaltene Bestandteile des Gebäudes.

Doch im späten 20. Jahrhundert, der Ära des Online-Banking und digitaler Frankiermöglichkeiten, ereilte das mondäne Postgebäude mit seiner großen neogotischen, von gusseisernen Säulen getragenen Schalterhalle dasselbe Schicksal wie viele andere Publikumsbauten von Banken und Postunternehmen. Die Kundenzahlen sanken, der Schalterbetrieb und die riesigen Flächen rentierten sich nicht länger, der repräsentative Bau wurde unwirtschaftlich. Im Jahr 2016 wurde die Schließung der Hauptpost angekündigt, fünf Jahre später, am 12. November 2021, waren die Schalter dort letztmals geöffnet.

Mit den Baudaten des Postgebäudes im späten 19. Jahrhundert haben wir nun schon einmal einen plausiblen Hinweis auf die Entstehungszeit des Verbotsschildes. Die Dreisprachigkeit darauf wollte ich als Nächstes ergründen.

Zwar wird in Basel seit langer Zeit überwiegend Deutsch gesprochen, jedoch wurden kurz vor der Errichtung des Gebäudes mit der Schweizer Bundesverfassung von 1848 Deutsch, Französisch und Italienisch zu den drei gleichberechtigten Landessprachen erklärt; 1938 kam das Rätoromanisch als vierte Landessprache dazu. Im Jahr 1900 hatte der Kanton Basel-Stadt 112.227 Einwohner, davon gehörte die Mehrheit (95,1%) zu den Deutsch sprechenden, nur ein kleiner Teil entfiel auf Französisch (2,3%) und Italienisch (2,1%). Die Mehrsprachigkeit auf der Tafel liegt also sehr wahrscheinlich in dieser offiziellen Sprachregelung begründet.

Die spannendste Frage ist nun die nach der Motivation des Schildermalers zur Auswahl und Formgebung der genutzten Schriftarten. Dazu kann ich folgendes sagen:

Die Schrift der deutschen Zeilen ist wohl eine damalige zeitgenössische Interpretation einer gebrochenen sog. »Textura«-Schrift mit linearen sowie ornamentalen Verzierungen an vielen Zeichen sowie charakteristischen »Spornen« an den Stämmen mancher Initialen. Textura-Schriften gehören in ihrer Originalform zu den ältesten gebrochenen Schriften. Ihre kantigen Buchstabenformen lassen eindeutig deren Ursprung im manuellen Schreibprozess mittels einer Breitfeder erkennen. Die Bezeichnung »Textura« deutet an, dass das sehr gleichförmige Schriftbild bei längeren Texten optisch wie ein gewebeähnliches Muster erscheint.

Ziemlich ähnliche Buchstabenformen konnte ich bei zwei heute kommerziell erhältlichen Schriften finden. Zum einen die »Blackletter 686« (Bitstream, 1964) / unter anderem Namen als »London Text« erschienen (Berthold, 1974?). Der Gestalter bzw. Urheber ist leider unbekannt. Die zweite, erst kürzlich erschienene ähnliche Schrift ist die prächtige »Altwien« (2020) von Christoph Zeugswetter, inspiriert von alten Straßenschildern in Wien und Salzburg.

Die ebenfalls deutlich handschriftlich anmutende Schrift des französischen Textes ist eine sog. »Ronde«-Schrift (»L’écriture ronde française«, in England »French script«, in Deutschland »Rundschrift«), die sich im Laufe des Barock aus verschiedenen handgeschriebenen Varianten gotischer (Kursiv)schriften entwickelte. Sie wurde oft sehr aufrecht, fast ohne Neigung geschrieben und in Frankreich bis ins 20. Jahrhundert hinein im Schulunterricht als Schreibschrift gelehrt.

Auch für die Buchstaben dieser Inschrift finden sich bei einigen käuflichen Schriften sehr eng verwandte Zeichenformen: Mein Favorit ist die »Bon Mot« (Nick Curtis, 2006). Auch heute noch recht populär ist die formverwandte »French Script« – eine von mehreren ähnlichen veröffentlichten Schriften, die sich an eine Vorlage namens »Parisian Ronde« anlehnen, welche 1878 von der Chappelle Foundry in Paris veröffentlicht wurde. Inspiration dafür waren wohl Handschriften und Gravuren, die zu jener Zeit in offiziellen Ankündigungen oder formellen Einladungen häufig genutzt wurden. Weitere Versionen dieser Ur-Schrift folgten rund um die Entstehungszeit der Hauptpost bis etwa 1905 u.a. unter den Namen »Inland French Script«, »French Plate« und »Typo Upright«.

Am wenigsten fündig wurde ich bei der Recherche zu Ursprüngen und Ähnlichkeiten des italienischen Schriftzuges. Er ist eine für die damalige Zeit bemerkenswert moderne, handgezeichnete Mischung aus einer serifenlosen Groteskschrift (bei s und a) und einer serifenbetonten Linear Antiqua oder »Egyptienne« (mit breiten Serifen bei P/p i, b und t). Vermutlich ließ sich der Schildermaler vom Stil ähnlich gestalteter, plakativer »Reklameschriften« jener Zeit inspirieren, die sich damals – neu aus England kommend – im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert über ganz Europa ausbreiteten.
Entfernt ähnliche Formmerkmale – speziell die Mischung aus Buchstaben mit (B, F, P) und ohne Serifen (V, W, X) – finden sich interessanterweise bei der über 100 Jahre später erschienenen »Triplex Serif« von Zuzana Licko (Emigre, 1989).

Ein Detail, das noch auffällt, ist, dass jeweils die Schrift in der zweiten Zeile jedes der drei Texte größer angelegt ist als in der ersten. Das wäre logisch, wenn diese Akzentuierung durchgehend das Wort für VERBOTEN beträfe, aber in der deutschen Zeile ist es DURCHGANG. Auch ein optischer Ausgleich der Zeilenbreiten kann nicht der Grund sein, denn die zweite deutsche Zeile wird durch die Vergrößerung sogar breiter, lediglich beim französischen und italienischen Textblock ergibt sich ein gewisser optischer Ausgleich. Insofern bleibt diese Ungleichheit ein Kuriosum, dessen Grund sich nicht nachvollziehen lässt.

Ich hoffe, der Recherchebericht »bis zum Ellenbogen« zu diesem feinen historischen schweizerischen Fundstück war heute nicht allzu speziell. Wer trotzdem darüber hinaus etwas mehr nachlesen mag, findet nachfolgend noch einige Links. 🤓 🔠 🇨🇭

Website zum Gebäude der Hauptpost Basel und dessen Umbau:
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptpost_(Basel)#

Bildbericht über die Bauarbeiten von einem beteiligten Unternehmen:
➡️ https://www.erne.ch/de/baureportagen/umbau-alte-hauptpost-basel/

Geschichte der Sprachen in der Schweiz:
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachen_in_der_Schweiz

Zu den französischen »Ronde«-Schriften:
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Ronde_(Schrift)


01.09.2025

Das Motto der beiden Motive des heutigen typographischen Montagsbonbons lautet »Metall«. Die meisten (längeren) dreidimensionalen Schriftzüge an Geschäften, Gebäuden oder anderswo im öffentlichen Raum sind wohl aus Kunststoff angefertigt, wenige aus Holz, einige ältere Neonbeschriftungen aus Glas – und dort, wo Metall zum Einsatz kommt, sind die Zeichen mittlerweile ausgelasert oder maschinell gefräst/gestanzt. Wesentlich aufwendigere, von Hand gefertigte Metall-Schriftzüge findet man meiner Erfahrung nach relativ selten.

Hier habe ich zwei Exemplare aus meiner Sammlung herausgesucht, die ich für besonders gelungen halte: Das erste aus Barcelona, das zweite aus Lemgo. Stahl vs. Eisen, modern vs. traditionell, schlicht vs. verziert.

Mal was anderes! 🤓 🔠 ⚒️

28.07.2025

Heute kommt das typographische Montagsbonbon zwar nicht erneut aus dem Keller, aber wir bleiben in der Gegend, in der sich das Haus und der Keller befinden. Bei einigen Ausflügen fielen mir an den Ziegelwänden der älteren Wohn- und Bauernhäuser hier die »Signaturen« der früheren Ziegeleien auf, die alle paar Meter in einzelne Steine eingeprägt sind. Offenbar befanden sich in der Ortschaft Kuhlhausen in Westbrandenburg und in Rathenow ehemals mindestens zwei dieser Betriebe, mit denen dann im Umland die lokalen Gebäude errichtet wurden. 



Besonders markant fand ich im ersten Foto die Formgebung des kleinen g, erinnert doch das aufrecht stehende »Fähnchen« mitten auf dem Kopf des Buchstabens frappant an das gleiche Charakteristikum, das mir in einem älteren Posting zu Straßenschildern in einem historischen Seemannsviertel aufgefallen war. Bemerkenswert sind aber auch die fehlenden Serifen an der Basis des kleinen l, man könnte fast schon meinen, die Firma Siggel hätte damals schon so etwas wie ein eigenständiges »Logo« besessen. Das Herstellungsdatum des Ziegels im ersten Bild liegt etwa zwischen 1885 und 1910 (der Dauer der Geschäftstätigkeit der Ziegelei Siggel), das passt auch zum Baujahr des betreffenden Hauses – 1890.



Natürlich enttäuscht das Internet auch bei diesem Thema nicht und stellt einen interessanten Beitrag zu den sog. »Ziegelstempeln« aus der Region bereit:
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_Rathenower_Ziegelstempel

Nun bin ich gespannt, ob ich demnächst noch weitere dieser Reliefprägungen hier in der Gegend finden werde … 🤓 🔠 🙂 🧱

11.07.2025

Acht Motive liegen noch in meinem Ordner mit typographischen Fundstücken aus Barcelona. Es wird allerdings nicht einfacher, aus den verbliebenen Bildern sinnvolle Cluster zu bilden, die ich turnusmäßig hier posten kann. Zweien der Fotos jedoch könnte man die Überschrift »Kultur« zuweisen, somit soll dies das Motto des heutigen Beitrags sein.



Das erste Motiv knipste ich am berühmten Altstadtboulevard »La Rambla«, hinter der Jalousie verbirgt sich das Geschäft eines Notenhändlers. Die Paillettenschrift im oberen Teil des Fotos ist sehr wahrscheinlich eine Eigenkreation. Die handgemalten Buchstaben der Schrift darunter erinnern vage an »softe« Serifenschriften aus den 1970er- und 1980er-Jahren, aber einen 100%igen Treffer bei der Identifikation konnte ich nicht landen – vermutlich war auch hier bei der Erstellung einiges an typographischer Fantasie im Spiel.



Das zweite Motiv entdeckte ich an der belebten Straße »Carrer Gran de Gràcia«, hoch über den Köpfen der Passanten: eine alte Inschrift, vermutlich u.a. für eine einst dort ansässige öffentliche Bibliothek (BIBLIOTECA PUBLICA). Sie wirkt, als sei sie einst komplett unter Putz versteckt worden, der dann jedoch im Laufe der Zeit wieder abblätterte. Der zweite noch halbwegs lesbare Begriff oben (PENSIONES DOTES [?]) wird übersetzt mit »Mitgiftrenten«. Eine interessante Kombination – und daher ist es wohl angebracht, anzunehmen, dass diese beiden Services auf getrennten Etagen untergebracht waren … 😉 🤓 🔠

04.07.2025

Wenn die Hitze drückt, brauchen Körper und Geist erstens genug Flüssigkeit und Elektrolyte und zweitens eine reichliche Zufuhr von Nervennahrung wie Obst, Schokolade, Gebäck oder Konfekt, die gut schmeckt, die Endorphinausschüttung anregt und im Idealfall etwas kühlt. Deshalb steht das Bilderbündel, das ich heute als gesammelte typographische Fundstücke der Woche aus meinem »Barcelona-Bestand« poste, unter dem Motto »Leckereien«. Im Angebot sind Süßwaren (1), Confiserie (2), ein feines Brunch (3) und Tapas (4).



Die meisten Schriften in den Bildern sind wieder garantiert handgefertigt, insbesondere bei Bild (3) und basieren höchstens teilweise auf kommerziellen oder historischen Vorlagen, ihre Bestimmung ist daher sehr diffizil. 



Die augenfälligsten Merkmale bei der Schrift auf dem Vorhang der Bonboneria (1) sind der spitze Winkel beim M und der gerade Abstrich des R – eine kommerzielle Schrift mit beiden Merkmalen gleichzeitig konnte ich nirgends finden. Beim oberen Schriftzug auf demselben Bild fallen insbesondere die schlanken Proportionen, der Winkel in den Serifen beim E und der große »Bauch« des R auf, aber auch hier kam ich bei einer Identifikation nicht weit. 



Das Metallrelief bei der Pastisseria (2) zeigt mal wieder eine Schrift mit Urspüngen im Art Déco oder den beiden Jahrzehnten danach. Hier böte sich der Font »ITC Juanita« als Vorlage an: 



➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/juanita-font-itc

Im Foto mit den Tapas (4) fallen die kurzen Unter- und Oberlängen, der gerade Abstrich des y und das abstrichlose u auf, ein als Vorlage hätte z.B. die Schrift »HK Nova Semi Bold« gedient haben können:



➡️ https://www.myfonts.com/de/products/semi-bold-hk-nova-590740

Aber jetzt gibt’s erstmal ein Eis! 🤓 🔠 🍧

23.06.2025

Das typographische Montagsbonbon heute ist ein schönes Beispiel dafür, wie grafische Elemente, die nicht immer bzw. nicht »geplant« auf einer Gestaltungsfläche vorhanden sind, zufällig und zeitweilig das ursprüngliche, menschengemachte Design auf interessante Weise verändern – vielleicht sogar verschönern – können.



Auch dieses Beispiel stammt wieder aus Barcelona. Im strahlenden Schein der Mittagssonne im Mai warfen die Befestigungsstäbe auf diesem Ladenschild ihre strengen diagonalen Schatten über die Fläche mit den auffälligen handgefertigten Holzbuchstaben. Diese interessante Zufälligkeit musste ich dann doch direkt mal fotografisch einfangen – hier arbeitete mal die Sonne als Designerin. 🤓 🔠 ☀️

06.06.2025

Weiter geht es am heutigen Freitag vor dem langen Pfingstwochenende mit der gebündelten »Abarbeitung« meiner kürzlich in Barcelona erbeuteten typographischen Fundstücke. Die Überschrift diesmal lautet »Schreibschriften«.

Für Ladenbauer und Werbetechniker sind – insbesondere dreidimensionale – Beschriftungen solcher Art in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung, denn die Schreibschriftwörter an der Ladenfassade sollten ja den Eindruck machen, als seien sie flüssig und in einem Zug geschrieben worden. Bei solchen (beleuchteten wie unbeleuchteten) Objekten muss daher entweder das Gesamtgebilde wortweise aus einem Stück gefertigt werden oder es muss sorgfältig so konzipiert und hergestellt werden, dass nach einer Montage aus einzelnen Modulen möglichst kaum oder keine Nahtstellen sichtbar sind. 



Bei gedruckten oder aus Klebefolie erstellten Objekten sind diese Herausforderungen deutlich geringer, da gedruckte oder geplottete Schreibschrift-Objekte, je nach verfügbarer Bahnbreite oder den Bogenmaßen des Trägermediums, oft tatsächlich in einem Stück gefertigt werden können. Im Falle einer modularen Fertigung können Nahtstellen merklich unauffälliger sein und sich bei sorgfältiger Montage sogar inmitten einzelner Buchstaben befinden. Fehltritte bei der Produktion sind hier zwar immer noch ärgerlich, aber weitaus weniger kostspielig, da der Material-und Arbeitsaufwand nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was ein voluminöser und ggf. beleuchteter Schriftzug aus Holz, Metall oder Kunststoff kostet.



Die drei Beispiele hier nutzen meiner Einschätzung nach allesamt keine kommerziellen Schriftarten, sondern wurden individuell für die Auftraggeber gestaltet: Ein Objekt (»Baixos 36«) wurde wohl aus Eisen gebogen und verschweißt, eins (»Hispanos«) erweckt aufgrund der leicht unebenen Oberfläche den Eindruck, als sei es aus einem form-/knetbaren Material gefertigt worden und das dritte (»Moliné«) besteht vermutlich aus einer Metalleinfassung mit illuminierter Plexiglas-Front. Hier kann man noch einzelne Module erkennen – zwischen den einzelnen Buchstaben sind die feinen Nahtstellen zu erkennen, an denen sie ineinander übergehen.



Mit diesem Posting wünsche ich allen Lesern meiner Rubrik schöne Pfingsttage. Am Montag wird das »typographische Bonbon« feiertagsbedingt entfallen. Wir lesen uns wieder in einer Woche! 🤓 🔠

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