verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Schriftgestaltung (Seite 1 von 2)

Wie viel Arbeit, Ideen, Liebe zum Detail, Kreativität und handwerkliches Können in einer professionell gestalteten Schrift stecken, wird beim Lesen oft übersehen. Diese Rubrik setzt die Lupe an und lenkt das Augenmerk darauf.

07.11.2025

Kennt Ihr diese alten, traditionsreichen Läden für Schuhe, Spielwaren oder Haushaltswaren, bei denen die Schaufensterdekoration das komplette Gegenteil einer Edelboutique wie Prada oder Louis Vuitton ist? Wo nicht auf 4 Metern Fensterfront auf spartanischen Warensockeln ein, zwei Paar Schuhe oder Handtaschen stehen, sondern das gefühlt komplette Sortiment in die Auslage gepackt wurde? Ich liebe sie, und je diverser das Sortiment ist, desto neugieriger bin ich, so einen Laden zu betreten und in den Regalen zu stöbern.

Genau so einen Laden entdeckte ich am Ankunftstag meiner Reise nach Freiburg, in direkter Nachbarschaft zur bezogenen Unterkunft. »Oh!«, dachte ich, »Die haben bestimmt so ein Pilzmesser, nach dem ich gerade suche!« – und zwar ein kleines, stabiles Klappmesser mit einer leicht gebogegen Klinge, jedoch unter 5 cm Länge, um die (aus meiner Sicht fragwürdigen) jüngst eingeführten Waffenkontrollzonenvorschriften in Großstädten wie Hamburg und Berlin zu umgehen und einer Konfiszierung meines Natur-Ausflugszubehörs vorzubeugen. Und siehe da, sie hatten eins.

Schon vor dem Kauf stand ich längere Zeit vor dem Schaufenster, sah mir das bunt gewürfelte Angebot an und bemerkte natürlich auch die teilweise schon recht verwaschenen Schriftzüge, die mit weißer Farbe von innen auf die Scheiben aufgetragen worden waren und über die Jahre (oder Jahrzehnte?) durch die notwendige Fensterpflege sichtlich gelitten hatten. Da musste natürlich ein Foto für meine Sammlung geknipst werden.

Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1925, hat also in diesem Jahr ein sattes 100jähriges Jubiläum zu feiern. Wann die Schrift auf die Scheiben aufgemalt wurde, war leider per Recherche nicht zu ermitteln.

»Der Eisenwarenladen Luitpold Bauer ist ein unwahrscheinliches Geschäft. Dem Siegeszug der Baumärkte hat er genauso getrotzt wie dem Ladensterben in der Innenstadt. Nun feiert der Traditionsladen 100-Jahr Jubiläum.
(…)
Übers Jahr seien etwa die Hälfte ihrer Kunden Touristen, die andere Hälfte Freiburger. Die einen wollen Mitbringsel, die anderen kommen wegen eines konkreten Problems. Die Rückmeldungen seien gut, teils sogar hymnisch. Touristen seien begeistert, dass es solch einen Laden gibt, Freiburger freuten sich, dass es den Laden immer noch gibt.«

QUELLE: BADISCHE ZEITUNG

Trotzdem habe ich natürlich wieder die Herausforderung angenommen, dem Ursprung der Beschriftung durch etwas typographische Detektivarbeit ein wenig näherzukommen. Dazu habe ich die verblassten Buchstaben zunächst vervollständigt, sodass sie besser erkennbar werden.

Der Name des Ladens, der Ende 2022 durch die ehemaligen Landschaftsgärtner Thomas Weisser und Nico Winterhalter übernommen wurde und sich somit aktuell nicht mehr im Familienbesitz befindet, ist in einer fetten Kursive mit teilweise verbundenen Buchstaben gesetzt, die ich gefühlt irgendwo zwischen den 1930er und 1960er Jahren verorten würde. Die auffallendsten Zeichen sind aus meiner Sicht das große und kleine L, sowie das d. Sehr wahrscheinlich wurde die Schrift – gewiss von einem professionellen Schildermaler – seinerzeit von Hand auf die Glasflächen aufgetragen, wie der erodierte Pinselduktus der Farbflächen erahnen lässt. Insofern war ich nicht überrascht, keine 100%ig übereinstimmende kommerzielle Schriftart dafür zu finden. Aber es gibt ein paar Favoriten, die für mein Auge eine recht ähnliche Anmutung (oder »look and feel«) haben.

Meine Auswahl an »Schriftverwandten« umfasst drei Fonts: Die »Splendor« (Ralph M. Unger, 1930 für Schriftguß AG, Dresden), die »Impuls« (Paul Zimmermann, 1954 veröffentlicht durch Johannes Wagner/Ludwig Wagner, VEB Typoart) und – bis auf die Großbuchstaben – die »Cochin Black Italic«. Georges Peignot entwarf die Grundform der Cochin um 1914 auf Basis von Kupferstichen aus dem 18. Jh. für das Pariser Schriftenhaus Deberny & Peignot. Später wurde die Schrift. u.a. von Matthew Carter und Sol Hess überarbeitet und z.T. ausgebaut und der Schriftenhersteller URW erweiterte die Schriftart (1995?) um den extrafetten kursiven Schnitt im nachfolgenden Bild. Die Zeitspanne für die vermuteten stilistischen Wurzeln der Werbeinschrift umfassen dadurch aber noch immer das weite Feld zwischen 1925 (dem Jahr der Geschäftsgründung) und ca. Mitte der 1950er Jahre.

Die zweite Zeile mit ihren kantigen, fast »techno-artig« wirkenden Buchstaben wirkt da schon weitaus moderner. Als optisch sehr ähnliche Schrift fiel mir sofort die »Serpentine« des US-Designers Dick Jensen ein, die er 1972 für die Visual Graphics Corporation entworfen hat. Sie läuft zwar nicht ganz so breit wie die Unterzeile auf dem Fenster, aber auch hier stimmt m.E. die Anmutung.

Ich persönlich neige zu der Annahme, dass der Schriftzug nicht ganz so alt ist wie das Unternehmen selbst, zumal ich auch nicht herausfinden konnte, seit wann das Ladengeschäft an der heutigen Adresse ansässig ist. Meine Hypothese ist, dass der obere Schriftzug bereits etwas nostalgisch wirkte, als die Bemalung des Fensters stattfand, dass die Unterzeile hingegen dem eher moderneren damaligen Zeitgeschmack entsprach – meine Schätzung liegt zwischen 1965 und 1975. Eine bereits im Gründungsjahr mit Farbe aufgetragene Beschriftung hätte zudem 100 Jahre regelmäßige Scheibenreinigung kaum in derart guter Verfassung überstanden.

Wer weitere Indizien hat, um das Alter der Schaufensterzeilen plausibel zu bestimmen oder es auch gänzlich anders einzuordnen, möge sich sehr gerne melden! 🤓 🔠 🫆


Update: Nachträglich kam noch ein interessantes Rechercheergebnis hinzu. Als ich noch weiter suchte, um das Eröffnungsdatum des Ladengeschäfts an der heutigen Adresse herauszufinden, fiel mir auf der rudimentären Website des Unternehmens auf, dass dort eine »modernere« Variante des Logos am Seitenkopf eingesetzt wird. Die Unterzeile erkannte ich sofort als die populäre »Science-Fiction-Schrift« mit dem Namen »Bank Gothic« (Morris Fuller Benton für ATF, 1930). Die Schreibschrift hingegen ist unter mehreren Namen in Umlauf: Die Ur-Version wurde offenbar vom deutschen Schriftgestalter Erich Mollowitz entworfen und von der Schriftgießerei J. D. Trennert & Sohn in Hamburg-Altona unter dem Namen »Forelle« herausgebracht. Ein zweiter Name für die gleiche Schrift, jedoch verlegt von der Schriftgießerei C. E. Weber im selben Jahr, ist »Rheingold«. 1954 interpretierte das britische Schrifthaus Stephenson Blake in Sheffield die Schrift und brachte sie in zwei Schnitten als »Mercury« und »Mercury Light« heraus. 2010 wurde die Schrift als »Forelle Pro« digitalisiert und ausgebaut von RMU (Ralph Michael Unger Typedesign) und kurz zuvor im Jahr 2007 hat auch der Designer Nick Curtis (Nick’s Fonts) seine Version davon veröffentlicht und nennt sie »Jaunty Gent«. Es gibt zwar noch einige andere freie und kostenpflichtige Versionen, aber die vorgenannten sind wohl die bedeutsamsten.

Diese neue Website-Version des Logos bestätigt m.E. die Vermutung, dass der Schriftzug nicht mit käuflichen Schriftarten erstellt wurde, so dass sogar die Inhaber mit einem nachempfundenen Entwurf online gehen mussten. Im Vergleich macht die »Forelle« einen guten Job, die unterkühlte Bank Gothic in der Unterzeile jedoch hat deutlich weniger Charme, finde ich.

31.10.2025

Los geht’s mit der Ausbeute an Fundstücken aus Freiburg und Basel! Heute möchte ich mal ein kleines Typo-Rätsel posten. Zu gewinnen gibt’s zwar nichts, aber vielleicht macht es ja trotzdem ein bisschen Spaß, mitzuraten.

Bei meinem Tagesausflug nach Basel sah ich vor einem Uhrengeschäft in der Fußgängerzone einen dunkelgrauen Bauzaun mit dem unten abgebildeten goldgelben Buchstaben. Der Zugang zum Geschäft war durch die Bauarbeiten nicht versperrt und der Verkaufsbetrieb ging unvermindert weiter. Insofern reichte mir ein kurzer Blick auf das Schild über der Ladentür, um zu erfahren, wer oder was sich hinter der Initiale verbirgt. Ich selbst gehöre zwar nicht zur Zielgruppe, zu den Fans oder zum Kundenkreis dieses Anbieters¹, aber wer unter meinen Leser*innen ihm zugeneigter ist oder etwas aus dessen Sortiment sein Eigen nennt, errät es vermutlich schneller. Vielleicht wird das Raten dennoch etwas erschwert, weil diese Version des Logos erst seit einem Redesign vor einigen Jahren im Einsatz ist und im Außenauftritt des Unternehmens erst nach und nach an allen »touch points« sichtbar wird.

Also – für wen oder was steht wohl dieses sorgsam gepinselte Zeichen?

Im unteren schwarzen Feld verbirgt sich die Auflösung; bei Klick oder Mouseover wird sie sichtbar.

So. Eigentlich wollte ich es diese Woche ja nur bei diesem überschaubaren Ratespiel belassen, aber wie das so ist – wenn ich einmal beim Recherchieren bin, komme ich oft »von Hölzchen auf Stöckchen«, erfahre interessante Details, falle in online in »rabbit holes« und lerne allerlei Wissenswertes dabei. Deshalb folgt nun noch ziemlich fetter Bonuscontent. Und damit ich frei und unbefangen weiterschreiben kann, habe ich den Zusatztext in einen Accordion-Block gepackt, um die Lösung des Rätsels nicht zu spoilern. 😎

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08.09.2025

Das typographische Montagsbonbon zeigt heute eine Gedenktafel aus der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, angebracht am Geburtshaus des berühmten Künstlers Caspar David Friedrich (1774–1840). Das denkmalgeschützte Haus steht mitten in der Fußgängerzone der Innenstadt und beherbergt seit 2004 das Caspar-David-Friedrich-Zentrum – das als Museum, Dokumentations- und Forschungsstätte zu Leben und Werk des Künstlers sowie der Geschichte seiner Familie dient und der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Bei der Schriftart auf der steinernen Tafel handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Variante der »Koch-Schrift« (auch »Koch-Fraktur« oder »Deutsche Schrift« genannt), die 1910 mit ihren kräftigen, fetten Lettern das Debüt des Schriftgestalters Rudolf Koch war und in der Schriftgießerei Gebr. Klingspor erschien. Warum für ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und einen in jener Zeit geborenen Künstler der Romantik diese über 100 Jahre später entstandene Schriftart gewählt wurde, kann nur vermutet werden. Vielleicht wollten die Verantwortlichen einerseits zwar eine gebrochene Schrift nutzen, da diese in Deutschland zu Lebzeiten der Friedrichs weithin gebräuchlich waren, aber andererseits eine Variante, die mit ihren klareren Formen und alternativen Buchstaben (z.B. A vs. 𝔄) für heutige Leser ein bisschen besser entzifferbarer ist.

Rudolf Koch jedenfalls entwarf neben seiner populären Koch-Fraktur auch noch weitere, »modernere« – und bis heute genutzte – Schriften, wie z.B. die geometrische sog. Groteskschrift »Kabel«. 🤓 🔠

Website der Caspar-David-Friedrich-Gesellschaft und des Museums:
➡️ https://www.caspar-david-friedrich-gesellschaft.de/

Mehr zur Koch-Schrift:
➡️ https://www.typografie.info/3/Schriften/fonts.html/deutsche-schrift-koch-schrift-r341/

29.08.2025

Das typographische Fundstück der Woche stammt aus dem Kopenhagener Stadtteil Ordrup und begann mit einem y. Dieses y fiel mir als erstes auf einem Straßenschild in der Nähe meiner dortigen Ferienunterkunft auf. Und nach und nach entdeckte ich auf weiteren Schildern in der Gegend mehr und mehr Details: Das rote Herzchen auf dem j, den kleinen Dorn am r, die kantigen Schrägen von A, X, Y, R und V, das rustikale M, die konischen Querstriche bei H und E usw. 😍 Drei der Schilder habe ich fotografiert und begann, dieser Beschilderung, die mir in Kopenhagen nie zuvor aufgefallen war, nachzuspüren.



Die Schilder sind tatsächlich begrenzt auf die Gemeinde Gentofte im Norden der Stadt. Ihre Geschichte begann 1923, als der Architekt und Buchdrucker Knud V. Engelhardt (1882–1931)¹ den Auftrag erhielt, neue Straßenschilder für die Gemeinde zu entwerfen². Er war überzeugt, dass Staat und Kommunen die Pflicht hätten, Wert auf gutes Design im öffentlichen Raum zu legen und gestaltete ein komplett neues Alphabet, das sich auf Standardisierung, Ästhetik und Lesbarkeit fokussierte. Die anfangs emaillierten Schilder wurden 1954 durch langlebigere, aus Aluminium gegossene ersetzt. Schon von Anfang an war das kleine Herz, das Engelhardt oft als Signatur nutzte, in weiß auf dem j vorhanden, es wurde später einheitlich rot und ist mittlerweile eine Art Markenzeichen der Gemeinde geworden. Manche Anwohner überkleben oder übermalen auf privat angebrachten Schildern mit Straßennamen sogar die »normalen« j-Punkte mit roten Herzchen und bessern so als Guerilla-Designer die Fehlstellen im Look des Viertels aus.



Die senkrechten Kappungen der diagonalen Auf- und Abstriche sollen bei längeren Namen einen geringeren Zeichenabstand und eine höhere Anzahl Buchstaben pro Schild ermöglichen. Einige der Formelemente erinnerten mich an die Schrift »Ovink« von Sofie Beier, die ich unserem damaligen biike GmbH Agenturkunden maresystems 2018 als Logo- und Hausschrift empfahl. Und der schwedische Schriftdesigner Mårten Thavenius veröffentlichte 2016 mit der »Skilt Gothic« eine auf dem Alphabet Engelhardts basierende Schriftfamilie, die noch mehr der markanten Formelemente übernimmt³. Einige der auffälligsten Buchstaben habe ich im zweiten Bild auf Basis einer im Netz gefundenen Originalskizze Engelhardts nachgezeichnet. Von Juni bis Oktober 2023 wurde ihm die Ausstellung »URBAN HEARTBEATS – celebrating 100 years of public design by Knud V. Engelhardt«⁴ gewidmet, die ich leider verpasst habe. 🤓 🔠

Ich könnte noch seitenweise über dieses wunderbare Beispiel dänischen Designs schreiben, aber ach 😅 … ein paar Links hänge ich dennoch an.



PDF zu Engelhardt:


1 ➡️ https://arkitekturpolitik.gentofte.dk/media/rzoof2c1/knud-v-engelhardt-webtilgaengelig.pdf

Weitere Originalschilder:


2 ➡️ http://vwnettet.dk/bb-media/pictures/1/6/127161/skilte.jpg

Font »Skilt Gothic«:


3 ➡️ https://fontcaster.com/


Website der Ausstellung:


4 ➡️ https://designmuseum.dk/udstilling/urban-heartbeats/

22.08.2025

Vor gut einem Jahr postete ich hier das Foto einer Infotafel zur Fahrgastinformation und -Lenkung an einem Hamburger S-Bahnsteig. Mir war aufgefallen, dass Schrift und Layout sich geändert hatten und ich stellte die »alte« und »neue« Version einander gegenüber. Die Änderung wurde auf LinkedIn und anderswo angeregt diskutiert und auch kritisiert; mittlerweile wurden etliche der Hamburger S-Bahnstationen und die Fernbahnhöfe Hamburg Hbf und Hamburg Dammtor mit den neuen Schildern versehen. Auch außerhalb Hamburgs – laut Wikipedia am Erfurter Hbf – findet sich inzwischen das neue Design, ebenso wie auf der Website bahnhof.de, wo die Schriftart mit dem Namen »Arrow« bezeichnet ist. Zu ihren gestalterischen Urheber*innen konnte ich bisher leider nichts herausfinden.



Bei der kürzlichen Fahrt durch die Station Jungfernstieg fiel mir nun auf, dass nun auch Hamburger U-Bahnstationen auf das neue Design umgestellt werden, wenngleich die gewohnte Farbigkeit mit schwarzer Schrift auf weißem Grund beibehalten wird. Vermutlich liegt die Umstellung ebenfalls schon etwas länger zurück, erste Berichte im Netz sind auf Anfang 2025 datiert. Im Foto ist oben das frühere und unten das neue Schild zu sehen (die Inhalte der Schilder auf den beiden Fotos sind nicht 100% identisch, aber m.E. dennoch für einen Vergleich tauglich).



Die neue Schriftart zumindest gefällt mir recht gut, ich begrüße es auch, dass – im Sinne der Fahrgäste und ihrer Reisekette – künftig S-Bahn und U-Bahn nur noch farblich ihr »eigenes Süppchen« kochen, sich ihr Schilder-Design insgesamt aber deutlich aneinander anzunähern scheint.



Doch ist auch alles besser geworden? Manche Elemente (Liniensignets U2/U4 nahe dem Stationsnamen) sind größer, manche anderen (die quadratischen grünen Ausgangspfeile) kleiner geworden, im Fahrstuhl-Icon steht nun bloß noch eine Figur statt zwei, ein neues weißes, etwas kryptisches Icon auf schwarzem Kreis verweist offenbar auf die Alsterfontaine (muss man wissen!) und es findet sich nun ein etwas konkurrierendes Nebeneinander zweier »Pfeilsorten« auf den Schildern wieder.



Es ist ja oft so, dass man sich an Neues erst gewöhnen muss und nach einer anfänglichen Zeit des Stutzens, Zweifelns und Zeterns das Neue dann doch angenommen (und vielleicht sogar dem früher Gewohnten vorgezogen) wird. Ich werde, wenn ich aus dem Urlaub zurück in Hamburg bin, mal die Augen an anderen Stationen offenhalten und mir dann in Ruhe ein persönliches Urteil bilden. 🤓 🔠 



02.05.2025

Das typographische Fundstück der Woche stammt diesmal wieder aus der Rubrik »Umsetzungen, die Menschen mit einem Faible für gute Gestaltung nahezu körperliche Schmerzen bereiten«. Entdeckt habe ich es am Hamburger Hauptbahnhof auf dem Emporenweg oberhalb der Bahngleise auf der Bahnhofsseite gegenüber der Wandelhalle. Eigentlich wollte ich nur kurz auf dem großen Display Abfahrtzeit und -gleis des Zuges checken, der mich letztes Wochenende zum Startpunkt meiner sonntäglichen Wandertour bringen sollte. Doch dann fiel mein Blick auf die gestanzte Textzeile im oberen Teil der metallenen Display-Einfassung und ich dachte: »AUA«. Einfach nur »AUA«. Und machte ein Foto.



Wieder zu Hause, begann ich dem typographischen Unfall nachzuspüren. Ich entzerrte die Perspektive meines Bildes, brachte die geschändete Zeile wieder auf ihre Originalproportionen und sah bald, dass die genutzte Schrift offenbar die »Antique Olive Medium« ist (die im Übrigen weder mit der Schrift der derzeitigen Leitsysteme der Bahn noch mit ihrem Corporate Design auf Zügen und in Medienkanälen irgendetwas zu tun hat)¹. Um ganze 250% wurde der Schriftzug auf der DTP-Streckbank in die Breite gequält. Anschließend hat man sie noch – vermutlich in Handarbeit – aus technischen Gründen für die Stanzung in eine »Stencil«-Variante umgebastelt und nun heißt der visuelle Missgriff auf beiden Seiten einer etwa 5–6 Meter breiten Infotafel mit 200 Zoll Diagonale² Reisende aus Hamburg und aller Welt willkommen.



Womöglich wäre »… und tschüss!« der bessere Text gewesen. 🤓 🔠 🫣 



Zur Schrift »Antique Olive«:
Entworfen zwischen 1959 und 1971 für die französische Schriftgießerei Fonderie Olive von dem Plakatgestalter Roger Excoffon (1910–1983):


1 ➡️ https://schriftgestaltung.com/schriftlexikon/schriftportrait/antique-olive.html

Info zu den großen DB-Displays:


2 ➡️ https://www.deutschebahn.com/de/presse/presse-regional/pr-berlin-de/aktuell/presseinformationen/Neue-XXL-Anzeigetafeln-in-Berlin-Hauptbahnhof-installiert-13326670

(Kennt außer mir noch jemand die Kampagne für die »Gelben Seiten« aus den frühen 1990ern? Der Slogan am Ende dieses Werbespots kam mir zu dem obenstehenden Gestaltungsunfall in den Sinn):



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24.12.2024 🎄

»Die typographischen Fundstücke dieser Woche – es sind heute gleich 49 – repräsentieren alle dasselbe Schriftzeichen. Es handelt sich um das Sternchen, auch Stern oder Asterisk genannt (von spätlateinisch asteriscus / altgriechisch ἀστερίσκος [asterískos = Sternchen]), ein typografisches Zeichen in Form eines kleinen fünf-, sechs- oder achtstrahligen Sterns. Wir kennen es alle als Indikator für Fußnoten in Texten und als Verweis auf das sog. »Kleingedruckte« in Vertragstexten oder Geschäftsbedingungen. Als »Gendersternchen« führt es zu gesellschaftlichem Aufbrausen, es markiert Pflichtfelder in Formularen, kann als Platzhalter bei Suchanfragen oder zur Entschärfung nicht jugendfreier Wörter genutzt werden (Sh*tstorm). Man kann damit Gefühlsäußerungen wie *kicher* ausdrücken, jemandem ein Küsschen :-* zueignen, Multiplikationen notieren oder ein Geburtsdatum kennzeichnen.



Und ebenso vielfältig wie die Anwendungsmöglichkeiten dieses unscheinbaren Zeichens, ihr Nutzen und dessen Auswirkungen ist der Einfallsreichtum der Schriftdesigner bei seiner Formgebung. Doch allein schon aufgrund der Winzigkeit des Symbols in der täglichen Anwendung werden die Kreativität der Gestalter und ihre Liebe zum Detail beim Design des Asterisk oft übersehen. Grund für mich, mit diesem Weihnachtsposting einmal bewusst das Augenmerk darauf zu richten und allen Lesern und Followern ein schönes Weihnachtsfest zu wünschen.

Schaut gerne öfter genauer hin – es gibt viel Schönes im Kleinen zu entdecken. Nicht nur in der Typographie! 🤓

25.10.2024

Das heutige typographische Fundstück der Woche entstammt mal wieder einem Film. In der Titelsequenz der schwarzen Krimikomödie »Die Schlemmerorgie« (»Who Is Killing the Great Chefs of Europe?«) aus dem Jahr 1978 werden die Zuschauer*innen von Anfang an optisch auf das Umfeld eingestimmt, in dem die Handlung spielt – die Welt der Gourmettempel und Sternerestaurants, der Spitzenköche und der Gastronomiekritiker. Auffallend in dem Vorspann (siehe Screenshot) ist auch die Wahl der luxuriös wirkenden, eigenwillig ornamentierten Schrift, welche die Epoche des Jugendstils assoziiert. Sie lässt an Pferdekutschen denken, an Grand Hotels und den legendären Orient-Express – und tatsächlich ist sie nicht erst nachträglich entstanden, um den Stil dieser Zeit zu zitieren, sondern sie ist, wie ich herausfinden konnte, ein authentisches Relikt.



Der ursprüngliche Name der Schrift, gestaltet vom Schriftgestalter John F. Cumming für die Dickinson Type Foundry, lautete wohl »Typothetae«¹, zunächst enthielt sie ausschließlich Großbuchstaben, aber wenig später wurde sie unter dem Namen »Skjald«² um Kleinbuchstaben erweitert. Die Angaben zum Entstehungsjahr schwanken in verschiedenen Quellen zwischen 1884 und 1891. Es existieren wunderbare Scans historischer Kataloge mit Schriften jener Zeit im Netz, einige davon erstaunlich modern; die zwei beeindruckendste Werke darunter, als PDFs einsehbar, habe ich nachfolgend verlinkt. 





Infos zum Film, Handlung und Besetzung:


➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Schlemmer-Orgie

Typothetae:
1 ➡️ https://t1p.de/typothetae



Skjald:
2 ➡️ https://t1p.de/skjald



»Catalogue And Price List of Type and Material« 

(Cleveland Type Foundry, 1893):
➡️ https://t1p.de/CTF1893



»Desk Book of TYPE and Printing Material« 

(American Type Founders Co., 1899):
➡️ https://t1p.de/ATFC1899

10.10.2024

Manchmal verbergen sich typographische Schönheiten an den unscheinbarsten Orten. Eine meiner Angewohnheiten bei Reisen in andere Städte ist, dass ich sehr viel zu Fuß »herumstromere«, durch kleine Gassen, interessante Straßenzüge oder einfach der Nase nach. Auf einem dieser Wege entdeckte ich außen an einer kleinen inhabergeführten Bäckerei an einer eher schmucklosen Hauptstraße in Kopenhagen dieses aufwendig gefertigte Metallschild. Die ungewöhnlichen Formen der goldenen Lettern darauf machten mich neugierig. Ihre gedrungenen, aber eleganten, quadratisch anmutenden Proportionen sind eine ihrer Besonderheiten. Die andere besteht in den rechteckigen Innenräumen (»Punzen«) der Buchstaben B, R und P. Ich konnte online leider nicht herausfinden, wie diese – auf mich sehr »dänisch« wirkende – Schrift heißt.



Die Form der Buchstaben hat leise Anklänge an die »Engravers« des Designers Morris Fuller Benton¹, ebenso an die Exklusivschrift »Apotek« für  dänische Apotheken, gestaltet von der Designagentur Kontrapunkt². Ähnliche eckige Innenräume finden sich interessanterweise auch in den Originalformen der just erschienenen Schrift »Altona« von Albert-Jan Pool, Julia Uplegger und Antonia Cornelius wieder, die auf historischen Hamburger Straßenschildern aus Ottensen und Blankenese zu finden sind³. Sind diese Formen eventuell eine »nordische« Eigenart?



Leider ist das mit dem Smartphone geknipste Foto aufgrund der Entfernung des hoch angebrachten Schildes nicht so schön scharf geworden, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich habe die Beschriftung daher einmal versucht, grob nachzuzeichnen, um die Anmutung etwas klarer darzustellen. Ein kleines Juwel, diese Schrift, finde ich.



1 ➡️ https://www.myfonts.com/de/products/d-bold-engravers-328933

2 ➡️ https://kontrapunkt.com/work/crafting-an-iconic-danish-high-street-brand

3 ➡️ https://page-online.de/branche-karriere/demnaechst-bei-typemates-antiqua-aus-altona/

06.09.2024

Der Urlaub ist vorbei und das heutige typographische Fundstück der Woche habe ich auf der Rückreise aufgegabelt: Eine Etappe der Route wurde mit der Fähre Oslo – Kopenhagen zurückgelegt und schon beim Belegen der Bordunterkunft fielen mir im Korridor die schönen Ziffern an den Kabinentüren auf. Die fette, leicht rechteckig proportionierte Hausschrift »DFDS« der geichnamigen Reederei (»Det Forenede Dampskibs-Selskab A/S« = Die vereinigte Dampfschifffahrtsgesellschaft) gehört seit 2015 zum visuellen Erscheinungsbild des Unternehmens und wurde nach meinen Recherchen von dem in Kopenhagen ansässigen Designbüro »HEAVY™« unter Federführung des Designers Robert Daniel Nagy gestaltet. Mal wieder eine Bestätigung für mich als Liebhaber und Bewunderer skandinavischen (Grafik-)Designs, das auffällig oft beispielhaft Funktionalität, Schönheit und Einfachheit zu vereinen vermag.



Was mich neben der Ästhetik der Schrift am meisten beeindruckt hat, war die konsequente Anwendung des Corporate Designs und dessen Typographie an Bord des gesamten Schiffes. Nahezu alle Beschriftungen auf sämtlichen Decks folgten dem »Look« des Unternehmens – vom riesigen Logo auf dem tiefblauen Schornstein über die Kennzeichnung der Rezeption, der Toiletten, der Wegweiser und Orientierungspläne, der kleinen Preisschilder im Bord-Shop, der Speisekarten und Werbeaufsteller im Restaurant bis hin zu den Einwurfhinweisen auf den Abfalleimern. So konsistent kenne ich das ansonsten nur von Autoherstellern und Fluggesellschaften. Auf diese Weise wird die wortwörtliche »Customer Journey« zu einem intuitiv erfassbaren und lückenlosen Gesamterlebnis, welches nicht nur visuell punktet, sondern für die Passagiere auch Abläufe, Wege und Aktivitäten auf dem Schiff spürbar erleichtert. 



Ahoi! ⚓ ⛴ 😎 🔠



DFDS:
➡️ https://www.dfds.com



HEAVY™:
➡️ https://heavy.tm/case/dfds/

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