verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Reisefunde (Seite 10 von 12)

Ich reise gerne und oft, innerhalb Deutschlands aber auch in Europa. Und natürlich ist unterwegs immer die Smartphonekamera dabei und so landen auf jeder Tour neue Fundstücke in meiner Sammlung.

15.03.2024

Pfingsten 2021, gegen Ende Mai, war das Alltagsleben noch spürbar von den Begleiterscheinungen und Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Doch offenbar konnte man zumindest schon wieder mit der Bahn fahren, denn am Pfingstmontag (dem Entstehungsdatum des Fotos) entstand während einer Wanderung mit Regionalzug-Anreise im Umland des Städtchens Trebbin südlich von Berlin, das aktuelle typographische Fundstück der Woche. 



Was mir daran gefällt, ist die Sichtbarwerdung eines Teils der Historie des Gebäudes. Hier wurden die hellen Farbschichten, mit denen die aufeinanderfolgenden gewerblichen Beschriftungen zur Übermalung abgedeckt werden sollten, im Laufe der Zeit teilweise wieder abgetragen und die unterschiedlichen dunkleren Schriftzüge reagierten anders auf die Verwitterung und kamen wieder zum Vorschein. Das Gebäude beginnt »zu sprechen« und solche im Wortsinne vielschichtigen Schriftzeugnisse bringen mich immer wieder zum Nachdenken über die Menschen und ihr Alltagsleben, das an diesem Ort einst stattfand.

08.03.2024

Das heutige Fundstück ist diesmal ein fotografisches Mitbringsel aus Galway in der Republik Irland, entdeckt im September 2015 und – abgesehen von den schönen nostalgischen handgemalten Schriftzügen – ein amüsantes Schaustück dafür, wie »Cross-Promotion« vielleicht in der Prä-Internet-Ära funktioniert hat. Der Schildermaler und Schriftkünstler macht Passanten auf den Instrumentenbauer nebenan sowie auf dessen Kursangebot aufmerksam und vice versa. Ob diese interessante gegenseitige Zielgruppenansprache tatsächlich funktioniert hat, die die beiden womöglich befreundeten Ladeninhaber bei einem gemeinsamen Pint Guinness hätten ausgeheckt haben könnten, ist mir jedoch leider nicht bekannt. 😁



23.02.2024

Das neueste typographische Kleinod stammt diesmal von einem fotografischen Streifzug durch Kopenhagen im November 2022. Ob diese beiden Schriftzüge zu ihrer Zeit gemeinsam für dasselbe Gewerbe warben oder für zwei getrennte Unternehmen, vermag ich nicht zu sagen. Ein »Frøhandel« jedenfalls dürfte ein Samen- oder Saatenhändler gewesen sein. Ich habe schon in einigen Städten Europas solche schönen handgemalten historischen Hinweise auf Geschäfte oder Unternehmen entdeckt, unter anderem in Edinburgh, Meißen und Göttingen und freue mich immer wieder, wenn gerade diese nur dünn auf Putz gepinselten Zeugnisse der Vergangenheit alle Wetterunbill, Renovierungen, Neuanstriche und Änderungen durch nachfolgende Gewerbetreiber bis heute überdauern konnten.

16.02.2024

Das aktuelle Fundstück der Woche ist tatsächlich schon über 20 Jahre alt und zeigt eine wunderschöne reliefartige Ladenbeschriftung an einer Hausfassade in Eisenach. Fotografiert wurden die Motive Anfang November 2003 und es stellt sich die Frage, ob dieses Kleinod mit seinen zauberhaft ausgearbeiteten, sehr eigenständigen Buchstabenformen (ich schätze, etwa um 1925) heute überhaupt noch existiert. Vermutlich wurden die Schriftzüge seinerzeit eigens für den Laden entworfen und dreidimensional angefertigt (gemeißelt? gegossen?). Ich bin froh, dass ich dieses Kunstwerk damals fotografisch festgehalten und dadurch bewahrt habe.



Update: Das Haus in der Marienstraße 19 steht tatsächlich noch und auch die Inschrift ist noch da. Ich konnte das Architektenbüro ausfindig machen, welches das Gebäude saniert hat, und auch bei Flickr findet sich ein Foto von Ende Mai 2023, auf dem das Haus in neuem (mintgrünen) Glanz zu sehen ist:



➡️ https://plewka-architekten.de/projekt/wohn-und-geschaeftshaus-eisenach



➡️ https://www.flickr.com/photos/monsieuradrien/53027855725/in/album-72157719648312294/

02.02.2024

Das typographische Fundstück der Woche wurde diesmal gesichtet im Schaufenster eines Computerreparatur-Services in Berlin-Kreuzberg.

Schon lange gibt es im Spektrum der auf Papier und Bildschirmen nutzbaren Schriftarten besonders gestaltete Fonts, die bewusst »zerstört« aussehen – etwa historische Schreibmaschinenschriften, Stempelschriften, Schablonenschriften oder gerasterte Schriften – vgl. die verlinkten Beispiele am Ende dieses Postings*. All diesen gemein ist, dass die korrupten Formen der Buchstaben absichtlich vom Schriftgestalter angelegt wurden.



Manchmal findet man aber auch im Alltag defekte, fehlerhafte oder anderweitig erodierte Schriften, die gerade durch diese Fehler besonders auffällig oder interessant werden: verwitterte Wandbeschriftungen, Schilder mit rissiger Farbe, abblätternde Folienbuchstaben usw. Im heutigen Fall ist es ein elektronischer Fehler in Form zahlreicher defekter LEDs, der die Buchstaben »anknabbert« und so fast unleserlich macht – aber eben nur fast.





Beispiel-Schriftarten:



Schreibmaschine:
➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/mystery-typewriter-font-ana-s-fonts



Stempel:
➡️ 

https://www.myfonts.com/de/collections/ff-stamp-gothic-font-fontfont

Schablone:
➡️ 

https://www.myfonts.com/de/collections/uxb-font-astrolux

Erosion:
➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/mineru-font-linotype

31.01.2025

Den beiden heutigen typographischen Fundstücken der Woche würde ich den Namen »Lese-Challenge« geben. Das erste stammt aus Berlin-Treptow und die en-passant-Qualität des Fotos macht eine eindeutige Identifizierung der Schrift nicht ganz leicht, aber anhand des S würde ich sagen, es ist die »Akzidenz Grotesk Bold« – eine Verwandte der »Helvetica«, aber deutlich älter. Die erste Version der Akzidenz Grotesk der Schriftgießerei H. Berthold AG erschien bereits 1898, während die Helvetica (unter diesem Namen) erst 1961 das Licht der Welt erblickte.



Ein weiteres Bildmotiv aus der gleichen herausfordernden Kategorie sah ich kurz darauf im Vorbeifahren im brandenburgischen Städtchen Stölln, allerdings ohne die Gelegenheit, ein Foto zu machen. Doch tatsächlich ist das erspähte Schild auch bei Google StreetView dokumentiert.



➡️ https://t1p.de/marmeladenschild

Die am Straßenrand so kryptisch feilgebotenen süßen Brotaufstriche werden übrigens beworben mit der Schriftart »ITC Souvenir«. Sie erschien unter diesem Namen Anfang der 1970er Jahre und war die erweiterte Neuauflage einer Schrift, die bereits 1914 von Morris Fuller Benton entworfen wurde. Die neue Version des Designers Ed Benguiat, mit zusätzlichen Stilen und einer Kursivschrift, war mit ihren weichen, nostalgischen Formen in den 1970er Jahren extrem populär. Im MS-Office-Paket findet man sie noch heute im Schriftmenü unter dem Namen »Jasmine UPC«. 🤓 🔠 🙂



Akzidenz Grotesk:


➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Akzidenz-Grotesk

Helvetica:


➡️ https://www.pixartprinting.de/blog/geschichte-schrift-helvetica/



(ITC) Souvenir:


➡️ https://en.wikipedia.org/wiki/Souvenir_(typeface)



Jasmine UPC:


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/jasmine-upc-font-microsoft-corporation

29.12.2023

Das heutige Fundstück stammt diesmal vom 25. Mai 2017 und soll angesichts des bevorstehenden Jahreswechsels ein wenig freundliche Stimmung verbreiten und zum Nachdenken über den Umgang miteinander in der Gesellschaft anregen. Ich fände es schön, wenn 2024 ein Jahr würde, in dem die Menschen nicht nur nett zu den Pflanzen (und Tieren) wären, sondern auch wieder netter zueinander. Wo Meinungsverschiedenheiten kein Grund sind, Mauern und Gräben zu ziehen oder gar Andersdenkenden mit Gewalt und Mord zu drohen, sondern Verständigung zu suchen. Wo Hilflosigkeit, Krankheit und Armut kein Anlass für Häme und Ausgrenzung sind, sondern für Empathie, Solidarität und Hilfsbereitschaft. Wo Unzufriedenheit mit der Politik nicht zum Verlassen des demokratischen Weges führt, sondern zu positivem, zukunftsorientiertem und nachhaltigem Aktivismus, auch abseits der Parteien. Wo Vielfalt und Teilhabe nicht als Bedrohung gesehen werden, sondern als Chance. 



Es wäre mal wieder Zeit für ein Jahr, an dessen Ende wir gerne zurückblicken.



15.12.2023

Das typographische Fundstück ist heute ein Foto aus der Kategorie »Überlebende«. Wenn eine zeittypische historische Beschriftung an einer Fassade ihren einstigen Urheber überdauert, verbleibt an dieser Stelle nicht nur ein nostalgisches Relikt der vergangenen Blütezeit eines Ortes oder Unternehmens, sondern – durch die inzwischen neue Belegung des Gebäudes mit komplett anderen Unternehmen, Geschäften, Mietern oder Bewohnern – auch ein manchmal surrealer bis amüsanter Widerspruch aus »Titel« und »Inhalt«. In diesem Gebäude in Hildesheim z.B. befindet sich unter dem Dach des einstigen Reformhauses mittlerweile – ein Kiosk.



08.12.2023

Das heutige Fundstück stammt diesmal aus Berlin, wo ich mich häufig aufhalte und bei der An- und Abreise jedes Mal am Treptower Park am Portal des »Sowjetischen Ehrenmals« vorbeikomme. Die deutsche Version der dortigen Inschrift weist – mal völlig abgesehen von den politischen und zeitgeschichtlichen Aspekten des Bauwerks, seiner Errichtung sowie dem Wortlaut und Inhalt der Inschrift – zwei typographische Details auf, die mir jedes Mal auffallen.

Eigentlich gehören in Stein gemeißelte Inschriften mit zu den langlebigsten Arten, die es gibt, um schriftliche Botschaften zu hinterlassen und somit auch, einem Text typographisch Form zu geben. Da ist es im Allgemeinen üblich, dass sich die Urheber und ausführenden Steinmetze besondere Mühe geben, die Schrifttype sorgfältig auswählen, vielleicht sogar eigens eine Schriftart entwerfen, die Zeilen und Buchstaben ästhetisch anordnen, auf Abstände achten und den Zeilenumbruch behutsam takten. Denn das, was dort eingraviert wird, wird meist noch nach Jahrzehnten von nachfolgenden Generationen zu lesen sein.



Hier jedoch wurden die Lettern des Wortes UNABHÄNGIGKEIT, um noch in die Zeile passen zu können, fast brachial zusammengeschoben und in der folgenden Zeile sogar – was bei gemeißelten Texten meines Wissens eigentlich als Fauxpas gilt – das Wort HEI-MAT in der Mitte getrennt und in eine neue Zeile umbrochen.



Ich frage mich, was wohl der Grund dafür war. Hast oder Zeitdruck bei der Anfertigung? Unkenntnis, Unwille, Gleichgültigkeit oder Unvermögen? Eine Order »von oben«, der nicht zu widersprechen war?

Vielleicht kann ja einer der Leser hier noch Details zu diesem vermeintlichen handwerklichen Makel beitragen oder womöglich gibt es ja auch anderswo noch steinerne Inschriften, in denen ohne Bedenken Worte getrennt oder ähnlich grenzwertig spationiert wurden.

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