verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Ramponiert (Seite 2 von 3)

Wenn der Zahn der Zeit, Korrosion, UV-Strahlen und andere Kräfte auf Schrift und Schriftzüge einwirken, verändern sie sich unweigerlich. Manchmal bis hin zur Unleserlichkeit, gelegentlich aber auch interessant verfremdet.

10.01.2025

Das typographische Fundstück der Woche entdeckte ich diesmal in der Nähe der Hamburger Grindelallee, auf dem Weg zu einem Termin. Ich war bewusst eine Bushaltestelle früher ausgestiegen, um den restlichen Weg zu Fuß zurückzulegen, weil ich in diesem Viertel selten umherstreife und darauf gehofft hatte, vielleicht neue Motive für diese Rubrik zu finden. 🙂



Natürlich erkennen wohl die Meisten sofort, dass die Buchstaben die Wortmarke einer bekannten deutschen Spirituose repräsentieren, aber interessant ist, dass dies überhaupt so gut funktioniert, obwohl ganze 5 der 12 Buchstaben (> 40%) der kompletten Wortmarke fehlen. Die Buchstabenabstände sind komplett »Freestyle«, die Grundlinie tanzt und die oft über dem Schriftzug platzierte Bildmarke mit dem Hirsch fehlt hier. Trotzdem erkennen wir: »Jägermeister«.



Die Wiedererkennung funktioniert auch ungeachtet dessen, dass von der Wortmarke verschiedenste offizielle und inoffizielle Farbvarianten in Umlauf sind: Auf den bekannten Likörflaschen steht sie in der aktuellen Version in einem dunklen Braun auf orangefarbenem Hintergrund und ist zudem mit einem ecrufarbenen und einem terracottabraunen Schatten versehen. Auf der Website ist sie im Header weiß auf dunkelgrün, woanders steht Terracottabraun auf Orange. Es gibt, von der Marke selbst, Produktvarianten mit weißem Schriftzug auf Schwarz, Braun auf Gold oder Weiß auf Rotbraun. Im Netz kursieren veraltete oder user-generierte Varianten in Schwarz, dunkelgrün, mit Buchstabenkontur oder Schatten ebenso wie ohne all dies. Man findet die Wortmarke in Dunkelgrün auf Orange, in Ecru auf Dunkelbraun, in Grau, Hellgrün und sogar Pink. Der Wiedererkennbarkeit der Marke tun diese »Remixe« jedoch keinen Abbruch.



Für mich ist das ein Indiz für eine starke Marke und eine unverwechselbare, eigenständige Gestaltung. Die auf den ersten Blick etwas aus der Zeit gefallene Typographie mit ihrer kantigen, gebrochenen Schrift ist sicherlich hauptverantwortlich für die Robustheit dieser Marke. 



Ich meine, die Auswahl einer passenden, markanten Schriftart (oder sogar eine eigens gezeichnete Wortmarke wie hier) kann immer maßgeblich zum Fundament einer starken Marke beitragen. Selbst wenn Kunden oder Fans den Schriftzug mal so malträtieren sollten wie auf dem Foto. 😉 🤓 🔠 



Jägermeister Logo-Historie:


➡️ https://1000logos.net/jagermeister-logo/

20.12.2024

Auch das dieswöchige typographische Fundstück hat wieder einige Jahre »auf dem Buckel«. Denn fotografiert habe ich es einerseits bereits im März 2004 während eines Urlaubs im Peak District, Derbyshire, Großbritannien, genauer: im beschaulichen Ort Hartington (der sich übrigens in einer bedeutsamen Region der Herstellung der bekannten englischen Käsesorte Stilton befindet), und andererseits reicht die Entstehungszeit einiger örtlicher Gebäude, z.B. einer Kirche und eines Schlosses, bis ins Mittelalter zurück (11.–13. Jh.). Auch auf dem malerischen Friedhof des Ortes finden sich zahlreiche uralte, teils komplett verwitterte Grabsteine. Das im Bild gezeigte Exemplar ist zwar nicht ganz so betagt, dafür aber typographisch interessant.



Zugegeben: ein solches Grabmal an sich ist zwar nicht gerade ein besonders weihnachtliches Beitragsmotiv (es ist ja auch noch ein paar Tage hin), aber ich finde, wenn man etwas genauer hinschaut, hat die Schönheit der Buchstaben der Inschrift durchaus etwas Feierliches und Festliches. Insbesondere die Zeilen in der ungewöhnlichen Frakturschrift finde ich ausgesprochen schön (das M, das g und das Y!) und könnte mir durchaus vorstellen – sofern diese Schriftart überhaupt jemals abseits solcher Inschriften zur Verwendung für Satz und Druck aufbereitet wurde – mit ihr sogar weihnachtliche Einladungen oder Grußmotive zu gestalten. 🤓 🔠


15.11.2024

Ich finde, Korrosion, Verwitterung, Deformation und Lädierung können sehr kreative Gestalter sein. Wenn vormals intakte, sorgsam gestaltete bedruckte Oberflächen oder Werbemedien von rohen Kräften malträtiert werden, entstehen oft spannende, neue Formen, »Designs« und Kompositionen.



Aus meiner Sammlung typographischer Fundstücke habe ich heute zu diesem Thema einige Beispiele herausgesucht. Sie stammen aus Regensburg, Edinburgh, Kopenhagen, dem Havelland und Berlin. Ganz schön kaputt! 🤓 🔠

03.10.2024

Eine meiner Lieblingskategorien bei den typographischen Fundstücken sind  historische Werbemalereien auf Fassaden. Denn sie erzählen mir, leise flüsternd, Geschichten darüber, wie sich Orte, Gebäude, Straßen oder Stadtviertel verändert haben. Die Tür unter dem Motiv lässt keinen Zweifel: Das einst dort ansässige Geschäft »M. Larsenˢ Hørkramhandel« ist längst geschlossen. So etwas macht mich neugierig. Was ist ein »Hørkramhandel«? Das Wort »kram« findet sich auch im deutschen Begriff »Krämerei«, es geht um allerlei Waren rund um einen Dachbegriff. So bekommt man in einem dänischen Geschäft für »Isenkram« – Eisenwaren, also verschiedenste Gebrauchsgegenstände wie Werkzeuge, Schrauben, Beschläge und Scharniere, Haushaltsgeräte, Handwerkerartikel usw.

Unter »Hørkramhandel« (= »Flachshandel« oder »Leinenhandel«) verstand man in Kopenhagen den Handel mit einer Reihe verschiedener Waren wie Petroleum, Bastmatten, Teer, Steingut/Töpferwaren, Salz/Pökelsalz, Hopfen, Flachs, Hanf, Pech, Teer, Eisen, Kupfer, Zinn und Blei, wie sie offenbar vorrangig im Hafen tätige Kunden wie z.B. Schiffsbesitzer, Proviant- und Konservenfabrikanten, Handwerker, Werkstätten, Lagerhäuser oder Brauereien benötigten.



Im Nu geht das Kopfkino an, Bilder aus »Moby Dick« oder den Erzählungen von Charles Dickens klingen an, es riecht nach Meer, Fisch und Kohlefeuer. Und das alles nur wegen einer alten verwitterten Beschriftung …



Wikipedia-Artikel »Kram«:
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Kram

01.10.2024

Ich freue mich sehr, nach zwei Jahren mal wieder für eine gute Woche im wunderschönen Kopenhagen zu weilen. Und da es sich hier hervorragend anbietet, hauptsächlich zu Fuß, mit dem (Leih-)Fahrrad und dem ÖPNV unterwegs zu sein, komme ich jeden Tag an vielerlei Stellen vorbei, an denen ich reichlich neues Fotofutter für meine Serie »Typographische Fundstücke« einfangen kann. Tatsächlich sind es so viele Motive, dass mir diese für ein einzelnes Sammel-Posting eigentlich zu schade sind. Andererseits sehe ich mich aber auch außerstande, nur einige wenige aus dieser üppigen Ausbeute auszuwählen und dadurch andere beiseite zu lassen. Deshalb habe ich beschlossen, ab heute eine offene Serie mit jeweils einem Bild pro Tag zu posten. 🙂 



Den Auftakt bildet eine ramponierte Folienbeschriftung an der Fassade eines öffentlichen Toilettenhäuschens. Die Beschädigungen lassen den Schriftzug nicht nur teilweise weiterhin leserlich bleiben, sondern führen zu einigen interessanten neuen Buchstabenformen. Da hauptsächlich der untere Teil der Buchstaben dem Zahn der Zeit zum Opfer fiel, wirkt der verbleibende Rest ein wenig wie eine Großbuchstaben-Version der experimentellen Schrift »FF You Can Read Me«, die einigen sicher aus dem Logo des mdr (Mitteldeutscher Rundfunk) geläufig ist. 

Auch der Zufall arbeitet manchmal als Schriftdesigner … 😉 🤓 🔠

➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/ff-you-can-read-me-font-fontfont

➡️ https://www.mdr.de/presse/logos/download-nutzung-verwendung-logo-mdr-sendungen-100.html

13.09.2024

Das neueste Motiv dieser Woche stammt diesmal aus Trier, wo ich mich letzte Woche für einige Tage in der Nähe aufhielt. Am Fuß des hohen Sandsteinfelsens am linken Moselufer nahe dem alten Vorort Pallien findet sich an der Felswand eine nahezu unleserliche aufgemalte Hinweistafel.



Der ursprüngliche Text lautet:

Aufgang


Schneidershof


Weißhaus ↗


Kockelsberg



Aber kann man überhaupt noch von Typografie sprechen, wenn verwitterte Buchstaben kaum oder gar nicht mehr zu erkennen sind? Ich meine: ja. Alle Zeichen, deren Zweck es ist oder war, eine Botschaft zu vermitteln, würde ich dazu zählen – ungeachtet ihrer Entzifferbarkeit. Und manchmal entstehen durch Alterung, Verfall oder Beschädigung an einst intakten Buchstaben sogar interessante neue Formen, die wiederum Inspiration für neue Schriften sein können. Drei Beispiele dafür habe ich nachfolgend einmal verlinkt.



»Rock It« (Flecken, Löcher, Risse):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/rock-it-font-fenotype

»Elementa Rough« (Unregelmäßgikeiten, Strukturen):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/elementa-rough-pro-font-fontfont

»TRGrunge« (Erosion, Korrosion):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/trgrunge-font-ingrimayne-type

23.08.2024 (1)

Aus Urlaubsgründen wird die – selbstverständlich trotzdem fortgesetzte – Serie der typographischen Fundstücke vorübergehend aus eher unkommentierten Schnappschüssen bestehen, die mir während meiner Ausflüge durch Skandinavien ins Auge fallen. Heute beginne ich mit zwei schönen historischen Motiven aus dem beschaulichen Städtchen Skive in Midtjylland, Dänemark.

05.07.2024

Bei einem Blick in mein Archiv typographischer Fundstücke fiel mir diese Woche auf, dass ich zufällig auf meinen aktuellen Reisen nach Regensburg und Stralsund Fotos von Schriftzügen an Gebäuden geknipst habe, die ich vor mehr als einem Jahrzehnt schon einmal abgelichtet hatte – nur in einem jeweils komplett anderen Zustand. In Regensburg wurde der Schriftzug an dem inzwischen geschlossenen Geschäft »SCHUH Bar« kürzlich abmontiert, sodass nur noch der Schatten der Buchstaben übrig blieb. In Stralsund hingegen wurde der damals fast zerstörte Schriftzug an der ebenso baufälligen Fassade der »Milchbar« originalgetreu restauriert und inzwischen genießen in dem Café/Restaurant darunter wieder Einheimische und Touristen ihre Speisen und Getränke.



So fange ich in meiner Sammlung hin und wieder nicht nur einzigartige Zeugnisse der Schriftkultur ein, sondern dokumentiere ab und zu – wenn auch hier unbeabsichtigt – ihr bedauerliches Verschwinden oder ihre erfreuliche Bewahrung. Und das ist ja abseits der Schönheit der Buchstabenformen genauso spannend wie die Schriftzüge selbst … oder?



28.06.2024

Als typographisches Fundstück der Woche präsentiere ich heute mal wieder eine Inschrift auf einem verfallenen alten Bahnhofsgebäude, gefunden im Moselland. Der Bahnhof selbst ist zwar für Regionalzüge als reine Bahnsteigstation mit Wartehäuschen nach wie vor in Betrieb, aber das angrenzende ehemalige Stationsgebäude ist eingezäunt, mit Spanplatten vernagelt und verlassen. Irgendwie ironisch, dass solche Relikte aus einer Zeit, in der das Schienennetz der Bahn bis zu 20.000 Kilometer länger als heute war*, nach außen einen Grad der Vernachlässigung aufweisen, der dem Fahrgefühl des oft unzuverlässigen Bahnbetriebs der Gegenwart hinter seiner modernen Fassade ziemlich gut entspricht … 🤔🙁🛤📉 



* 1955 hatte die Gesamtlänge des Schienennetzes in Gesamt-Deutschland mit insgesamt 53.700 km ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. 2023 waren es nur noch 33.430 km.



Weiterführende Links:



➡️ https://interaktiv.morgenpost.de/bahn-schienennetz-deutschland-1835-bis-heute/

➡️ https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/schienennetz/

31.05.2024

Etwas versteckt hinter dem modernen Teil des ehemaligen Potsdamer Hauptbahnhofs*, am Treppenzugang über eine Autobrücke, präsentierte sich das heutige »typographische Fundstück der Woche«, am Endpunkt einer Wanderung. Interessant fand ich insbesondere die Zweifarbigkeit – und natürlich die Frage, wohin sich wohl das m abgesetzt hat. 🤓



(* Heute heißt der Bahnhof »Potsdam Pirschheide«. Als »Potsdam Hauptbahnhof« war er zwischen 1960 und 1999 der wichtigste Personenbahnhof der Stadt.)



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