verknallt in Schrift und Buchstaben

05.12.2025

Auf der Nerdfrage hinter dem typographischen Fundstück dieser Woche kaue ich schon eine ganze Weile herum. Aber jetzt habe ich mich dann doch mal aufgerafft, sie zu beantworten.

Am Montag, dem 16. April 2012 um 04:02 Uhr hielt nach dem Umbau des Bahnhofs Berlin Ostkreuz zum ersten Mal eine S-Bahn am Gleis in der neu errichteten, 132 Meter langen und 15 Meter hohen Bahnhofshalle. Der Umbau des Bahnhofs startete im Jahr 2006 und auch nach Inbetriebnahme der Halle war er noch lange nicht abgeschlossen. Erst im Dezember 2018 wurden die Bauarbeiten nach 4703 Tagen und rund 500 Millionen Euro Baukosten (statt der ursprünglich veranschlagten 411 Millionen) vorläufig für abgeschlossen erklärt.

Ein markantes Kennzeichen des neuen, weithin sichtbaren Gebäudes, die ab 2011 errichtet wurde, ist der riesenhafte Schriftzug »OSTKREUZ« auf der markanten Glasfassade an der Westseite. Er wurde etwas über ein Jahr vor Ende der Fertigstellung der Halle angebracht.

Schon oft stand ich zusammen mit anderen Fahrgästen am Gleis direkt vor den großen Buchstaben und fragte mich, welche Schriftgröße (in Punkt!) sie wohl hätten. Das Gleisbett zu überqueren und ein Maßband anzulegen, wäre wohl keine sonderlich gute Idee gewesen. Daher musste mal wieder das Internet ran. Die Suche dauerte eine ganze Weile, aber dann fand ich tatsächlich eine Angabe dazu:

»Seit dem 6. Oktober 2017 prangt der Bahnhofsname, im Mittel 6,50 Meter hoch, über die ganze Länge der westlichen Glasfassade der Ringbahnhalle. Die Folien-Farbe heißt ›904 Silbersee metallic‹.«

Quelle: sbahn.berlin

Der Zusatz »im Mittel« bedeutet vermutlich, dass sich das Maß von 6,50 m Höhe auf jene Buchstaben bezieht, die oben und unten gerade abschließen (T, K, R, E, Z). Die gerundet abschließenden Buchstaben (O, S, U) dürften gemäß gängiger typographischer Gepflogenheiten etwas größer angelegt sein, um optisch gleich groß zu erscheinen.

Weil ich zu faul zum Rechnen war (ich geb’s zu), übertrug ich die Kalkulation der Punktgröße an ChatGPT und erhielt folgende Antwort:

Rechnung:

1 Punkt (pt) = 0,35278 mm

Mittlere Höhe der Buchstaben: 6,50 m = 6.500 mm

Umrechnung in Punkt:

ChatGPT lieferte sogar noch einen wichtigen Hinweis:
»In der Typografie bezieht sich die Punktgröße nicht auf die tatsächliche Versalhöhe (Höhe des Großbuchstabens), sondern auf die sog. ›Kegel­größe‹ – ein Fachausdruck aus dem früheren Schriftsatz mit physischen Drucklettern. Der echte Buchstabe ist also immer etwas kleiner als die Punktgröße. Wenn man aber Buchstabenhöhe und Punktgröße gleichsetzt (so wie hier), erhält man einen Wert von rund 18.400 Punkt

Dies bedeutet, dass der Schriftgrad in Punkt (pt) keineswegs ein verlässliches Maß dafür ist, welche Höhe in mm beispielsweise die Großbuchstaben einer bestimmten Schrift haben. Das kann man sehr anschaulich selbst in einem Textverarbeitungsprogramm wie Microsoft Word nachprüfen: Wechselt man dort bei einem Text die Schriftart und behält den eingestellten Schriftgrad bei, ändern die Buchstaben oft trotzdem ihre Größe. Das Verhältnis der Großbuchstaben zu den Kleinbuchstaben ist von Schrift zu Schrift ebenso variabel wie die Dimensionen und Proportionen der Ober- und Unterlängen bei b, p, g oder y. Der Schriftgrad liefert lediglich einen groben Anhaltspunkt dafür, wie groß eine Schrift ungefähr ist. Korrespondenz- und Lesetexte sind meist in einem Schriftgrad zwischen 9 und 12 pt angelegt, Fußnoten oder Bildunterschriften liegen gern zwischen 6 und 10 pt , Überschriften über Textabschnitten variieren bevorzugt zwischen 14 und 24 pt und große aufmerksamkeitsstarke Headlines oder Titelzeilen sind üblicherweise ab 36 pt aufwärts angelegt. Die Bewertung und Feinjustage, in welcher Größe welcher Text gut lesbar ist, seinen Zweck erfüllt und zudem auch gut aussieht, muss letztlich nach eigenem gestalterischem Empfinden erfolgen.

Ergänzend wollte ich daher natürlich gerne auch noch wissen, in welcher Schriftart die Mega-Lettern umgesetzt wurden. Theoretisch und anhand der ersten Anmutung der Buchstaben hätte es die »FF Transit«, die 1990 von Erik Spiekermann/MetaDesign gestaltete Unternehmensschrift der BVG, sein können. Aber nachdem ich die verwendeten Zeichen genauer inspiziert hatte, schied diese Vermutung aus. Besonders gut geeignet zur Bestimmung der Schriftart sind der Neigungswinkel der Zeichen bzw. der Winkel der Bogenabschlüsse des S, der spitze Winkel der Schenkel des K in Richtung des Stamms und das am oberen Ansatz geschwungene Bein des R. Ein besonders auffälliges Merkmal sind die unterschiedlich breiten Auf- bzw. Abstriche des U (auch im zweiten Foto oben erkennbar), denn alle anderen hier genutzten Buchstaben ließen eher vermuten, dass die Strichstärke bei dieser Schrift durchgängig gleich breit angelegt ist.

Das U war es dann auch, das mich auf die richtige Fährte brachte. Und: Am Bahnhof Ostkreuz halten zudem ausschließlich S-Bahnen und Züge des Regionalverkehrs, der Betrieb geschieht somit ohne U-Bahnen und größtenteils im Auftrag der Deutschen Bahn – die BVG ist an diesem Halt lediglich für den Buslinienbetrieb an den Haltestellen der Straßen vor dem Gebäude zuständig.

Die genutzte Schriftart ist die »DB Sans Condensed Black Italic«, ein Schnitt aus dem exklusiven Schriftsystem »DB Type« der Deutschen Bahn. Die Schrift wurde 2005 von Erik Spiekermann (s.o.) und Christian Schwartz entwickelt und begegnet Reisenden seither an nahezu jedem »Touchpoint« ihrer Reise an Bahnhöfen und in Zügen sowie auf allen Medienkanälen der DB.

Und nun konnte ich auch noch den letzten Aspekt meiner Frage ergründen. Ihr erinnert Euch an den obigen Hinweis von ChatGPT, dass die tatsächliche Höhe der Buchstaben von der verwendeten Schriftart abhängt? Da ich diese jetzt kannte, konnte ich nachmessen. Das E der »DB Sans Condensed Black Italic« hat – auf Basis der mir zugänglichen Quelle – bei einem Schriftgrad von 100 pt die spezifische Höhe von 25,649 mm. Sofern also das E auf der Fensterfront des Bahnhofs Ostkreuz tatsächlich 6,50 m (6.500 mm) hoch ist, passt mein 100-pt-E rund 253,4-mal übereinander dort hinein. Ich müsste also meinem E in der Schriftart »DB Sans Condensed Black Italic« einen Schriftgrad von rund 25.340 pt zuweisen, damit der Buchstabe eine Höhe von 6,50 m hat.

Falls ihr mich also beizeiten mal am westlichen S-Bahn-Gleis am Ostkreuz wartend stehen seht und ein wissendes Lächeln meine Lippen umspielt, dann wisst ihr ja jetzt, wieso.
😅 🔠 🤓 📏

Weiterführende Links zum Umbau des Bahnhofs:
➡️ Tagesspiegel vom 15.04.2012: »Premiere unterm Glasdach«
➡️ Tagesspiegel vom 08.12.2018: »Bauarbeiten am Ostkreuz beendet«

2 Kommentare

  1. Kaltmamsell

    Großartig, vielen Dank für die Recherche und die Ausführungen!

    • Thomas

      Danke!
      Ich hab ja bei solchen Beiträgen vor der Veröffentlichung immer ein bisschen die Befürchtung, das könnte schon zu speziell sein. Um so mehr freue ich mich, dass dem nicht so ist!

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