verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Zeichenformen (Seite 3 von 6)

Manchmal fällt (mir) ein einzelnes Zeichen innerhalb eines typographischen Fundstücks ganz besonders auf. Oder ich begegne einer Schrift bzw. einem Schriftzug mit übergreifend (schönen oder sonderbaren) Details.

11.04.2025

Beim typographischen Fundstück der Woche bleiben wir weiterhin in Kopenhagen und wieder geht es auf eine wilde Reise durch die Vergangenheit. Über der Eingangstür eines Wohnhauses an der Nørrebrogade fiel mir die eigenwillige Hausnummer ins Auge und wurde natürlich sofort fotografiert. Die formfolgende Verzerrung der Ziffern erinnerte mich an irgendwas … ich kam nicht drauf und überlegte lange – und nun kam die Erleuchtung!



Einen ähnlichen »Trend« mit auffälligen Häufungen dieses Stilmittels – dem Anpassen von Zeichenformen an eine vorgegebene Kontur – gab es meines Wissens bislang in zwei Zeiträumen: Der erste lag um 1890–1910 und vollzog sich im Rahmen des Jugendstils. Damals fanden sich ähnliche Umsetzungen bei Logos von Unternehmen, insbesondere in der noch jungen Autoindustrie. Als dreidimensionale Metallembleme prangten sie an den Kühlern vieler Fahrzeugmodelle. Ein paar Beispiele habe ich nachfolgend verlinkt

(Mercedes-)Benz, 1909:
➡️ https://group.mercedes-benz.com/unternehmen/tradition/mercedes-benz/geschichte.html



Opel, um 1910/1920:
🖼️ ➡️ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Das-Opel-Auge_in-guten-Haenden_LWS2577.jpg

Alfa (Romeo), 1870–1910:
➡️ https://www.media.stellantis.com/em-en/alfa-romeo/media-library/video/2394978/563643?&folderTitle=Alfa%20Romeo%20MILANO

Saab (ehem. VABIS), um 1900:
➡️ https://1000logos.net/saab-logo/

Die zweite Ära, in der eine Häufung solcher verformten Schriftzüge zu beobachten ist, war die Flower-Power-Zeit der späten 1960er-Jahre – nur nutzten die Grafiker für ihre oft als »psychedelisch« bezeichneten Werke eine deutlich grellere Farbpalette. Ein schönes Beispiel ist etwa das nachfolgend verlinkte Poster für The Byrds, aber auch andere berühmte Künstler*innen und Bands wie Led Zeppelin, Janis Joplin, Jefferson Airplane, Jimi Hendrix u.a. nutzten solche Designs für Plattencover oder Poster:



Poster, The Byrds:
➡️ https://nwcartographic.com/products/92066?variant=40429932052541

Albumcover, Donovan:
➡️ https://www.bbc.co.uk/programmes/p06lnjl6

Das Spannende daran ist, dass die Verwandtschaft dieser beiden gut 70 Jahre auseinanderliegenden Stile anscheinend kein Zufall ist, sondern ein plausibel herleitbares und bewusst initiiertes »Revival«, nachvollziehbar erläutert im nachfolgenden Video. Der Designer Wes Wilson wird darin als ein stilprägender Protagonist benannt:

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Ein drittes Anwendungsfeld, über alle Jahrzehnte hinweg, sind – Fußballclubs. Bis heute nutzen viele Vereine weltweit (grafisch mehr oder weniger gelungen) solche typographischen Embleme als Logo.



Faszinierend, dass Typographie einen Bogen spannen kann von einer Jugendstil-Hausnummer über die Kindertage des Automobils und die knallbunten Konzertplakate der Hippie-Ära bis hin zu Fußball, oder? Ich jedenfalls war mal wieder begeistert. 🤓 🔠 ☮️ ✌ 🌸 ⚽

04.04.2025

Bei der Recherche zum heutigen typographischen Fundstück der Woche – es stammt ebenfalls aus Kopenhagen – bin ich in ein regelrechtes »rabbit hole« gefallen. Auf einem Besorgungsweg kam ich im Stadtteil Nørrebro nahe einem großen Verkehrskreisel (Nørrebros Ronddel) an einer Apotheke in einem Eckhaus vorbei. Die ungewöhnlichen »Fähnchen« an der Spitze der drei A veranlassten mich gleich zu einem Schnappschuss. Das schon reichlich verwitterte Schild und die an Stilelemente des Art Deco erinnernden Buchstaben regten mich zur Vermutung an, dass die Apotheke schon sehr lange an diesem Ort ansässig ist und die Beschriftung des Schildes vielleicht sogar aus dieser Epoche stammt. Und so begann ich zu recherchieren.



Die erste Vermutung erwies sich als korrekt. Die Apotheke wurde 1882 gegründet und es gibt sogar noch Fotos aus den Gründungszeiten, hier zwei Links zu Fotos um die Jahrhundertwende (das Eckhaus mit den markanten Fugen zwischen den Steinplatten der Fassade):



➡️ https://kbhbilleder.dk/kbhmuseum/296183


➡️ https://kbhbilleder.dk/kbhmuseum/344762

Und auf demselben famosen Portal mit historischen Fotos aus Kopenhagen findet sich sogar ein Foto der Apotheken-Mitarbeiter im Inneren des Geschäftes:



➡️ https://kbhbilleder.dk/kbhmuseum/302516



Anderswo kann man »RezeptKuverts« der Apotheke aus der gesamten Zeit des Bestehens anschauen. Interessant ist, dass die Apotheke ihren Namen in den Anfangsjahren über der Eingangstür mit »ph«, aber auf diesen Kuverts und später dann auch an der Fassade seit jeher mit »f« schrieb:



➡️ http://www.apotekerkuverter.dk/kbhsider/stefan.htm

Meine zweite Vermutung, dass die Beschriftung irgendwann zwischen 1920 und 1940 angebracht wurde, wurde durch ein Foto um 1965/66 aus einer Facebook-Gruppe entkräftet. Ganz links im Bild ist die Apotheke zu sehen, man erkennt bereits die Schreibweise mit »f«, aber die Beschilderung ist noch eine andere:

➡️ https://www.facebook.com/groups/208657160335946/permalink/1307645257103792/



Erst auf einem Foto aus dem Jahr 1981 in derselben Gruppe befinden sich die heutigen Leuchtbuchstaben über der Eingangstür:



➡️ https://www.facebook.com/groups/208657160335946/permalink/1009344470267207/

Damit war das kleine Rätsel gelöst. Was bleibt, ist die Frage, ob dieser Schriftzug mit seinen markanten Buchstabenformen speziell für die Apotheke angefertigt wurde oder eine vollständige (käufliche) Schrift davon existiert(e). Auf diese Frage konnte ich bislang noch keine Antwort finden. 

Ich habe auf der Suche noch viele schöne weitere typographische Entdeckungen (auch wieder zum »dänischen g« 😅) gemacht, das Internet quillt förmlich über vor alten Fotos zur Historie der Stadt. Aber für heute soll es das erstmal gewesen sein. 🤓 🔠

28.03.2025

Das Betrachten und ggf. Besichtigen von Kirchen gehört für mich, obgleich ich selbst nicht sonderlich religiös bin, natürlich auch dazu, wenn ich eine Städtereise wie meine kürzlich unternommene Fahrt nach Kopenhagen mache. Auf meinen Streifzügen durch die Stadt kam ich an einer Kirche vorbei, über deren Eingangsportal eine eingemeißelte Schriftzeile meine Aufmerksamkeit erregte. Es war die St.-Augustin-Kirche der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Kopenhagen, sie wurde in den 1960er Jahren vom Jesuitenpater Adolf Meister (*1931) gegründet. Das Kirchengebäude wurde lt. Wikipedia im Jahr 1914 fertiggestellt, ist also vergleichsweise jüngeren Datums.



Es war nicht ganz einfach, bei den herrschenden Lichtverhältnissen ein Foto zu machen, auf dem die Inschrift 100% klar erkennbar ist. Sie lautet: SUMITE: HOC EST CORPUS MEUM, rechts darunter in kleinerer Schrift dann: MARC XIV·22. Es handelt sich also um ein Bibelzitat aus dem Buch Markus, auf deutsch »Nehmet; das ist mein Leib« – die Einsetzungsworte zum christlichen Abendmahl.



Besonders auffällig fand ich die herzförmigen M, die sich in ähnlicher Form in einigen sog. »Unzialschriften« wiederfinden. So bezeichnet man antike, schon ab dem 2. Jh. anzutreffende, zumeist mit einer breiten Feder handgeschriebene (Buch)schriften, in denen es oft keine gesonderten Groß- und Kleinbuchstaben gibt, die kaum Ober- oder Unterlängen besitzen und auffällig gerundete Detailformen. Schriften mit ähnlicher Anmutung tauchen oft im Kontext der Geschichten J.R.R. Tolkiens auf; gibt man »Hobbit« bei der Schriftsuche ein, landet man auffällig oft auf Seiten mit Schriften, die an Unzialschriften erinnern. Auch mit den alten Kulturen der Kelten, Iren, Schotten und Waliser werden solche Schriften oft assoziiert oder für eine entsprechende Anmutung, z.B. bei Büchern, CDs oder Filmtiteln eingesetzt.



Die Inschrift deutet an einigen Buchstaben deutliche Serifen an, an anderen sind diese nicht oder kaum erkennbar; beim S sieht man oben keine, unten hingegen schon. Und die Formen von S und R wirken auf mich geradezu modern. Eine spannende Kombination. Ich habe die großen Zeichen aus dem Foto einmal von Hand – soweit für mich erkennbar – nachskizziert und bin gespannt, ob von den Schriftexperten hier eine weitere vertiefende oder korrigierende Einordnung erfolgt. 🤓 🔠 



Kirche St. Augustin/Kirchengemeinde:
➡️ https://en.wikipedia.org/wiki/St._Augustine%27s_Church,_Copenhagen
➡️ https://www.gemeinde.dk/gemeinde/



Unzialschriften:


➡️ https://www.typografie.info/3/Schriften/listen.html/unzialschriften-r112/
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Unziale

Beispiel einer ähnliche Unziale (»750 Latin Uncial«):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/750-latin-uncial-font-glc

21.03.2025

Bei schönstem Spätwinter- bzw. Frühfrühlingswetter genieße ich derzeit zum wiederholten Male einen entspannten Kurzurlaub in einer meiner Herzensstädte: Kopenhagen. Doch die Gestalter und Kreativen hier kennen es bestimmt: Der Kopf und das Auge eines Grafikers haben niemals Ferien. Und so laufe ich denn hier auch stets mit voll aktivem Typo-Radar durch die Straßen und Stadtviertel und sehe, finde und knipse neues Futter für meine Schnappschusssammlung und meine allwöchentliche hiesige Buchstabenrubrik. Dennoch möchte ich den Urlaub immerhin so weit ausnutzen, dass ich die heute geposteten Fundstücke nicht ganz so ausführlich kommentiere wie sonst. Nur soviel sei gesagt: Das neunteilige Potpourri widmet sich meiner Lieblingsglyphe, dem »dänischen g«. Für den einen wirkt es vielleicht sonderbar beschnitten – für mich ist es immer wieder eine Augenweide. 🤓 🔠 🇩🇰 



Jeg ønsker alle en dejlig weekend!

10.02.2025

Ein Typo-Bonbon für zwischendurch: Im Vorbeifahren sah ich kürzlich auf einem Konzertplakat im Straßenland dieses Logo einer schwedischen Indie-/Alternative-Rockband. Der Bandname ist eine Kombination der beiden Vornamen John und Ossi ihrer beiden Mitglieder John Engelbert und Oskar »Ossi« Bonde.



Gefiel mir auf Anhieb, der Duktus erinnert mich ein bisschen an das Logo der Modekette SØR. Ich mag auch die leichte Irritiation, die zu der Frage verleitet, ob die Aussprache des Bandnamens aufgrund des »dänischen

orwegischen« Ø nun »Jöhnössi« oder »Johnossi« lauten soll. Sehr gelungen finde ich auch das elegant abgefräste J, die feine Verbindung zwischen H und N und das markante Serifengespinst in den beiden S. Ein schönes Logo.



Die Musik hingegen ist nicht so mein Fall – aber auch das ist ja Geschmackssache. 🙃 🤓 🔠 



Website SØR:
➡️ https://soer.de/



Website der Band:
➡️ https://www.johnossi.com/

03.02.2025

Kleines typographisches Bonbon zwischendurch: Die Lieblingsfigur aus der »Sesamstraße«, die ich als Kind hatte, war Graf Zahl. Und die Muppets insgesamt waren sowieso grandios. Deshalb folge ich auf einem meiner privaten Social-Media-Kanäle dem Account »Muppet GIF of the Day«. Das GIF vom vergangenen Freitag zeigte eben jenen Grafen und im Hintergrund eine Zahlenreihe mit einer ziemlich extravaganten 4.

Ich konnte zwar nicht herausfinden, welche Schriftart das ist, aber das minderte mein Entzücken nicht im Mindesten. 🙂 🤓 🔠

24.12.2024 🎄

»Die typographischen Fundstücke dieser Woche – es sind heute gleich 49 – repräsentieren alle dasselbe Schriftzeichen. Es handelt sich um das Sternchen, auch Stern oder Asterisk genannt (von spätlateinisch asteriscus / altgriechisch ἀστερίσκος [asterískos = Sternchen]), ein typografisches Zeichen in Form eines kleinen fünf-, sechs- oder achtstrahligen Sterns. Wir kennen es alle als Indikator für Fußnoten in Texten und als Verweis auf das sog. »Kleingedruckte« in Vertragstexten oder Geschäftsbedingungen. Als »Gendersternchen« führt es zu gesellschaftlichem Aufbrausen, es markiert Pflichtfelder in Formularen, kann als Platzhalter bei Suchanfragen oder zur Entschärfung nicht jugendfreier Wörter genutzt werden (Sh*tstorm). Man kann damit Gefühlsäußerungen wie *kicher* ausdrücken, jemandem ein Küsschen :-* zueignen, Multiplikationen notieren oder ein Geburtsdatum kennzeichnen.



Und ebenso vielfältig wie die Anwendungsmöglichkeiten dieses unscheinbaren Zeichens, ihr Nutzen und dessen Auswirkungen ist der Einfallsreichtum der Schriftdesigner bei seiner Formgebung. Doch allein schon aufgrund der Winzigkeit des Symbols in der täglichen Anwendung werden die Kreativität der Gestalter und ihre Liebe zum Detail beim Design des Asterisk oft übersehen. Grund für mich, mit diesem Weihnachtsposting einmal bewusst das Augenmerk darauf zu richten und allen Lesern und Followern ein schönes Weihnachtsfest zu wünschen.

Schaut gerne öfter genauer hin – es gibt viel Schönes im Kleinen zu entdecken. Nicht nur in der Typographie! 🤓

20.12.2024

Auch das dieswöchige typographische Fundstück hat wieder einige Jahre »auf dem Buckel«. Denn fotografiert habe ich es einerseits bereits im März 2004 während eines Urlaubs im Peak District, Derbyshire, Großbritannien, genauer: im beschaulichen Ort Hartington (der sich übrigens in einer bedeutsamen Region der Herstellung der bekannten englischen Käsesorte Stilton befindet), und andererseits reicht die Entstehungszeit einiger örtlicher Gebäude, z.B. einer Kirche und eines Schlosses, bis ins Mittelalter zurück (11.–13. Jh.). Auch auf dem malerischen Friedhof des Ortes finden sich zahlreiche uralte, teils komplett verwitterte Grabsteine. Das im Bild gezeigte Exemplar ist zwar nicht ganz so betagt, dafür aber typographisch interessant.



Zugegeben: ein solches Grabmal an sich ist zwar nicht gerade ein besonders weihnachtliches Beitragsmotiv (es ist ja auch noch ein paar Tage hin), aber ich finde, wenn man etwas genauer hinschaut, hat die Schönheit der Buchstaben der Inschrift durchaus etwas Feierliches und Festliches. Insbesondere die Zeilen in der ungewöhnlichen Frakturschrift finde ich ausgesprochen schön (das M, das g und das Y!) und könnte mir durchaus vorstellen – sofern diese Schriftart überhaupt jemals abseits solcher Inschriften zur Verwendung für Satz und Druck aufbereitet wurde – mit ihr sogar weihnachtliche Einladungen oder Grußmotive zu gestalten. 🤓 🔠


13.12.2024

Das typographische Fundstück dieser Woche ist schon einige Jahre alt, daher kann ich nicht sagen, ob dieser charmante kleine Farben- und Tapetenladen in Neuenfelde bei Hamburg (südwestlich von Finkenwerder) noch existiert. Aber die wunderbar exzentrischen, schwertförmigen kleinen t hatten es mir damals angetan. 🙂 🤓 🔠

(Update, 01.09.2025: Es gibt einen ausführlichen, nostalgischen Online-Artikel über das Geschäft – es hieß übrigens »Drogerie Quast« –, das inzwischen leider am 29. April 2023 endgültig geschlossen wurde.)

➡️ https://suederelbe24.de/drogerie-quast-nach-beinahe-70-jahren-ist-eine-institution-bald-geschichte

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