verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Schriftgestaltung (Seite 1 von 2)

Wie viel Arbeit, Ideen, Liebe zum Detail, Kreativität und handwerkliches Können in einer professionell gestalteten Schrift stecken, wird beim Lesen meist übersehen. Diese Rubrik setzt die Lupe an und lenkt das Augenmerk darauf.

29.08.2025

Das typographische Fundstück der Woche stammt aus dem Kopenhagener Stadtteil Ordrup und begann mit einem y. Dieses y fiel mir als erstes auf einem Straßenschild in der Nähe meiner dortigen Ferienunterkunft auf. Und nach und nach entdeckte ich auf weiteren Schildern in der Gegend mehr und mehr Details: Das rote Herzchen auf dem j, den kleinen Dorn am r, die kantigen Schrägen von A, X, Y, R und V, das rustikale M, die konischen Querstriche bei H und E usw. 😍 Drei der Schilder habe ich fotografiert und begann, dieser Beschilderung, die mir in Kopenhagen nie zuvor aufgefallen war, nachzuspüren.



Die Schilder sind tatsächlich begrenzt auf die Gemeinde Gentofte im Norden der Stadt. Ihre Geschichte begann 1923, als der Architekt und Buchdrucker Knud V. Engelhardt (1882–1931)¹ den Auftrag erhielt, neue Straßenschilder für die Gemeinde zu entwerfen². Er war überzeugt, dass Staat und Kommunen die Pflicht hätten, Wert auf gutes Design im öffentlichen Raum zu legen und gestaltete ein komplett neues Alphabet, das sich auf Standardisierung, Ästhetik und Lesbarkeit fokussierte. Die anfangs emaillierten Schilder wurden 1954 durch langlebigere, aus Aluminium gegossene ersetzt. Schon von Anfang an war das kleine Herz, das Engelhardt oft als Signatur nutzte, in weiß auf dem j vorhanden, es wurde später einheitlich rot und ist mittlerweile eine Art Markenzeichen der Gemeinde geworden. Manche Anwohner überkleben oder übermalen auf privat angebrachten Schildern mit Straßennamen sogar die »normalen« j-Punkte mit roten Herzchen und bessern so als Guerilla-Designer die Fehlstellen im Look des Viertels aus.



Die senkrechten Kappungen der diagonalen Auf- und Abstriche sollen bei längeren Namen einen geringeren Zeichenabstand und eine höhere Anzahl Buchstaben pro Schild ermöglichen. Einige der Formelemente erinnerten mich an die Schrift »Ovink« von Sofie Beier, die ich unserem damaligen biike GmbH Agenturkunden maresystems 2018 als Logo- und Hausschrift empfahl. Und der schwedische Schriftdesigner Mårten Thavenius veröffentlichte 2016 mit der »Skilt Gothic« eine auf dem Alphabet Engelhardts basierende Schriftfamilie, die noch mehr der markanten Formelemente übernimmt³. Einige der auffälligsten Buchstaben habe ich im zweiten Bild auf Basis einer im Netz gefundenen Originalskizze Engelhardts nachgezeichnet. Von Juni bis Oktober 2023 wurde ihm die Ausstellung »URBAN HEARTBEATS – celebrating 100 years of public design by Knud V. Engelhardt«⁴ gewidmet, die ich leider verpasst habe. 🤓 🔠

Ich könnte noch seitenweise über dieses wunderbare Beispiel dänischen Designs schreiben, aber ach 😅 … ein paar Links hänge ich dennoch an.



PDF zu Engelhardt:


1 ➡️ https://arkitekturpolitik.gentofte.dk/media/rzoof2c1/knud-v-engelhardt-webtilgaengelig.pdf

Weitere Originalschilder:


2 ➡️ http://vwnettet.dk/bb-media/pictures/1/6/127161/skilte.jpg

Font »Skilt Gothic«:


3 ➡️ https://fontcaster.com/


Website der Ausstellung:


4 ➡️ https://designmuseum.dk/udstilling/urban-heartbeats/

22.08.2025

Vor gut einem Jahr postete ich hier das Foto einer Infotafel zur Fahrgastinformation und -Lenkung an einem Hamburger S-Bahnsteig. Mir war aufgefallen, dass Schrift und Layout sich geändert hatten und ich stellte die »alte« und »neue« Version einander gegenüber. Die Änderung wurde auf LinkedIn und anderswo angeregt diskutiert und auch kritisiert; mittlerweile wurden etliche der Hamburger S-Bahnstationen und die Fernbahnhöfe Hamburg Hbf und Hamburg Dammtor mit den neuen Schildern versehen. Auch außerhalb Hamburgs – laut Wikipedia am Erfurter Hbf – findet sich inzwischen das neue Design, ebenso wie auf der Website bahnhof.de, wo die Schriftart mit dem Namen »Arrow« bezeichnet ist. Zu ihren gestalterischen Urheber*innen konnte ich bisher leider nichts herausfinden.



Bei der kürzlichen Fahrt durch die Station Jungfernstieg fiel mir nun auf, dass nun auch Hamburger U-Bahnstationen auf das neue Design umgestellt werden, wenngleich die gewohnte Farbigkeit mit schwarzer Schrift auf weißem Grund beibehalten wird. Vermutlich liegt die Umstellung ebenfalls schon etwas länger zurück, erste Berichte im Netz sind auf Anfang 2025 datiert. Im Foto ist oben das frühere und unten das neue Schild zu sehen (die Inhalte der Schilder auf den beiden Fotos sind nicht 100% identisch, aber m.E. dennoch für einen Vergleich tauglich).



Die neue Schriftart zumindest gefällt mir recht gut, ich begrüße es auch, dass – im Sinne der Fahrgäste und ihrer Reisekette – künftig S-Bahn und U-Bahn nur noch farblich ihr »eigenes Süppchen« kochen, sich ihr Schilder-Design insgesamt aber deutlich aneinander anzunähern scheint.



Doch ist auch alles besser geworden? Manche Elemente (Liniensignets U2/U4 nahe dem Stationsnamen) sind größer, manche anderen (die quadratischen grünen Ausgangspfeile) kleiner geworden, im Fahrstuhl-Icon steht nun bloß noch eine Figur statt zwei, ein neues weißes, etwas kryptisches Icon auf schwarzem Kreis verweist offenbar auf die Alsterfontaine (muss man wissen!) und es findet sich nun ein etwas konkurrierendes Nebeneinander zweier »Pfeilsorten« auf den Schildern wieder.



Es ist ja oft so, dass man sich an Neues erst gewöhnen muss und nach einer anfänglichen Zeit des Stutzens, Zweifelns und Zeterns das Neue dann doch angenommen (und vielleicht sogar dem früher Gewohnten vorgezogen) wird. Ich werde, wenn ich aus dem Urlaub zurück in Hamburg bin, mal die Augen an anderen Stationen offenhalten und mir dann in Ruhe ein persönliches Urteil bilden. 🤓 🔠 



02.05.2025

Das typographische Fundstück der Woche stammt diesmal wieder aus der Rubrik »Umsetzungen, die Menschen mit einem Faible für gute Gestaltung nahezu körperliche Schmerzen bereiten«. Entdeckt habe ich es am Hamburger Hauptbahnhof auf dem Emporenweg oberhalb der Bahngleise auf der Bahnhofsseite gegenüber der Wandelhalle. Eigentlich wollte ich nur kurz auf dem großen Display Abfahrtzeit und -gleis des Zuges checken, der mich letztes Wochenende zum Startpunkt meiner sonntäglichen Wandertour bringen sollte. Doch dann fiel mein Blick auf die gestanzte Textzeile im oberen Teil der metallenen Display-Einfassung und ich dachte: »AUA«. Einfach nur »AUA«. Und machte ein Foto.



Wieder zu Hause, begann ich dem typographischen Unfall nachzuspüren. Ich entzerrte die Perspektive meines Bildes, brachte die geschändete Zeile wieder auf ihre Originalproportionen und sah bald, dass die genutzte Schrift offenbar die »Antique Olive Medium« ist (die im Übrigen weder mit der Schrift der derzeitigen Leitsysteme der Bahn noch mit ihrem Corporate Design auf Zügen und in Medienkanälen irgendetwas zu tun hat)¹. Um ganze 250% wurde der Schriftzug auf der DTP-Streckbank in die Breite gequält. Anschließend hat man sie noch – vermutlich in Handarbeit – aus technischen Gründen für die Stanzung in eine »Stencil«-Variante umgebastelt und nun heißt der visuelle Missgriff auf beiden Seiten einer etwa 5–6 Meter breiten Infotafel mit 200 Zoll Diagonale² Reisende aus Hamburg und aller Welt willkommen.



Womöglich wäre »… und tschüss!« der bessere Text gewesen. 🤓 🔠 🫣 



Zur Schrift »Antique Olive«:
Entworfen zwischen 1959 und 1971 für die französische Schriftgießerei Fonderie Olive von dem Plakatgestalter Roger Excoffon (1910–1983):


1 ➡️ https://schriftgestaltung.com/schriftlexikon/schriftportrait/antique-olive.html

Info zu den großen DB-Displays:


2 ➡️ https://www.deutschebahn.com/de/presse/presse-regional/pr-berlin-de/aktuell/presseinformationen/Neue-XXL-Anzeigetafeln-in-Berlin-Hauptbahnhof-installiert-13326670

(Kennt außer mir noch jemand die Kampagne für die »Gelben Seiten« aus den frühen 1990ern? Der Slogan am Ende dieses Werbespots kam mir zu dem obenstehenden Gestaltungsunfall in den Sinn):



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24.12.2024 🎄

»Die typographischen Fundstücke dieser Woche – es sind heute gleich 49 – repräsentieren alle dasselbe Schriftzeichen. Es handelt sich um das Sternchen, auch Stern oder Asterisk genannt (von spätlateinisch asteriscus / altgriechisch ἀστερίσκος [asterískos = Sternchen]), ein typografisches Zeichen in Form eines kleinen fünf-, sechs- oder achtstrahligen Sterns. Wir kennen es alle als Indikator für Fußnoten in Texten und als Verweis auf das sog. »Kleingedruckte« in Vertragstexten oder Geschäftsbedingungen. Als »Gendersternchen« führt es zu gesellschaftlichem Aufbrausen, es markiert Pflichtfelder in Formularen, kann als Platzhalter bei Suchanfragen oder zur Entschärfung nicht jugendfreier Wörter genutzt werden (Sh*tstorm). Man kann damit Gefühlsäußerungen wie *kicher* ausdrücken, jemandem ein Küsschen :-* zueignen, Multiplikationen notieren oder ein Geburtsdatum kennzeichnen.



Und ebenso vielfältig wie die Anwendungsmöglichkeiten dieses unscheinbaren Zeichens, ihr Nutzen und dessen Auswirkungen ist der Einfallsreichtum der Schriftdesigner bei seiner Formgebung. Doch allein schon aufgrund der Winzigkeit des Symbols in der täglichen Anwendung werden die Kreativität der Gestalter und ihre Liebe zum Detail beim Design des Asterisk oft übersehen. Grund für mich, mit diesem Weihnachtsposting einmal bewusst das Augenmerk darauf zu richten und allen Lesern und Followern ein schönes Weihnachtsfest zu wünschen.

Schaut gerne öfter genauer hin – es gibt viel Schönes im Kleinen zu entdecken. Nicht nur in der Typographie! 🤓

25.10.2024

Das heutige typographische Fundstück der Woche entstammt mal wieder einem Film. In der Titelsequenz der schwarzen Krimikomödie »Die Schlemmerorgie« (»Who Is Killing the Great Chefs of Europe?«) aus dem Jahr 1978 werden die Zuschauer*innen von Anfang an optisch auf das Umfeld eingestimmt, in dem die Handlung spielt – die Welt der Gourmettempel und Sternerestaurants, der Spitzenköche und der Gastronomiekritiker. Auffallend in dem Vorspann (siehe Screenshot) ist auch die Wahl der luxuriös wirkenden, eigenwillig ornamentierten Schrift, welche die Epoche des Jugendstils assoziiert. Sie lässt an Pferdekutschen denken, an Grand Hotels und den legendären Orient-Express – und tatsächlich ist sie nicht erst nachträglich entstanden, um den Stil dieser Zeit zu zitieren, sondern sie ist, wie ich herausfinden konnte, ein authentisches Relikt.



Der ursprüngliche Name der Schrift, gestaltet vom Schriftgestalter John F. Cumming für die Dickinson Type Foundry, lautete wohl »Typothetae«¹, zunächst enthielt sie ausschließlich Großbuchstaben, aber wenig später wurde sie unter dem Namen »Skjald«² um Kleinbuchstaben erweitert. Die Angaben zum Entstehungsjahr schwanken in verschiedenen Quellen zwischen 1884 und 1891. Es existieren wunderbare Scans historischer Kataloge mit Schriften jener Zeit im Netz, einige davon erstaunlich modern; die zwei beeindruckendste Werke darunter, als PDFs einsehbar, habe ich nachfolgend verlinkt. 





Infos zum Film, Handlung und Besetzung:


➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Schlemmer-Orgie

Typothetae:
1 ➡️ https://t1p.de/typothetae



Skjald:
2 ➡️ https://t1p.de/skjald



»Catalogue And Price List of Type and Material« 

(Cleveland Type Foundry, 1893):
➡️ https://t1p.de/CTF1893



»Desk Book of TYPE and Printing Material« 

(American Type Founders Co., 1899):
➡️ https://t1p.de/ATFC1899

10.10.2024

Manchmal verbergen sich typographische Schönheiten an den unscheinbarsten Orten. Eine meiner Angewohnheiten bei Reisen in andere Städte ist, dass ich sehr viel zu Fuß »herumstromere«, durch kleine Gassen, interessante Straßenzüge oder einfach der Nase nach. Auf einem dieser Wege entdeckte ich außen an einer kleinen inhabergeführten Bäckerei an einer eher schmucklosen Hauptstraße in Kopenhagen dieses aufwendig gefertigte Metallschild. Die ungewöhnlichen Formen der goldenen Lettern darauf machten mich neugierig. Ihre gedrungenen, aber eleganten, quadratisch anmutenden Proportionen sind eine ihrer Besonderheiten. Die andere besteht in den rechteckigen Innenräumen (»Punzen«) der Buchstaben B, R und P. Ich konnte online leider nicht herausfinden, wie diese – auf mich sehr »dänisch« wirkende – Schrift heißt.



Die Form der Buchstaben hat leise Anklänge an die »Engravers« des Designers Morris Fuller Benton¹, ebenso an die Exklusivschrift »Apotek« für  dänische Apotheken, gestaltet von der Designagentur Kontrapunkt². Ähnliche eckige Innenräume finden sich interessanterweise auch in den Originalformen der just erschienenen Schrift »Altona« von Albert-Jan Pool, Julia Uplegger und Antonia Cornelius wieder, die auf historischen Hamburger Straßenschildern aus Ottensen und Blankenese zu finden sind³. Sind diese Formen eventuell eine »nordische« Eigenart?



Leider ist das mit dem Smartphone geknipste Foto aufgrund der Entfernung des hoch angebrachten Schildes nicht so schön scharf geworden, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich habe die Beschriftung daher einmal versucht, grob nachzuzeichnen, um die Anmutung etwas klarer darzustellen. Ein kleines Juwel, diese Schrift, finde ich.



1 ➡️ https://www.myfonts.com/de/products/d-bold-engravers-328933

2 ➡️ https://kontrapunkt.com/work/crafting-an-iconic-danish-high-street-brand

3 ➡️ https://page-online.de/branche-karriere/demnaechst-bei-typemates-antiqua-aus-altona/

06.09.2024

Der Urlaub ist vorbei und das heutige typographische Fundstück der Woche habe ich auf der Rückreise aufgegabelt: Eine Etappe der Route wurde mit der Fähre Oslo – Kopenhagen zurückgelegt und schon beim Belegen der Bordunterkunft fielen mir im Korridor die schönen Ziffern an den Kabinentüren auf. Die fette, leicht rechteckig proportionierte Hausschrift »DFDS« der geichnamigen Reederei (»Det Forenede Dampskibs-Selskab A/S« = Die vereinigte Dampfschifffahrtsgesellschaft) gehört seit 2015 zum visuellen Erscheinungsbild des Unternehmens und wurde nach meinen Recherchen von dem in Kopenhagen ansässigen Designbüro »HEAVY™« unter Federführung des Designers Robert Daniel Nagy gestaltet. Mal wieder eine Bestätigung für mich als Liebhaber und Bewunderer skandinavischen (Grafik-)Designs, das auffällig oft beispielhaft Funktionalität, Schönheit und Einfachheit zu vereinen vermag.



Was mich neben der Ästhetik der Schrift am meisten beeindruckt hat, war die konsequente Anwendung des Corporate Designs und dessen Typographie an Bord des gesamten Schiffes. Nahezu alle Beschriftungen auf sämtlichen Decks folgten dem »Look« des Unternehmens – vom riesigen Logo auf dem tiefblauen Schornstein über die Kennzeichnung der Rezeption, der Toiletten, der Wegweiser und Orientierungspläne, der kleinen Preisschilder im Bord-Shop, der Speisekarten und Werbeaufsteller im Restaurant bis hin zu den Einwurfhinweisen auf den Abfalleimern. So konsistent kenne ich das ansonsten nur von Autoherstellern und Fluggesellschaften. Auf diese Weise wird die wortwörtliche »Customer Journey« zu einem intuitiv erfassbaren und lückenlosen Gesamterlebnis, welches nicht nur visuell punktet, sondern für die Passagiere auch Abläufe, Wege und Aktivitäten auf dem Schiff spürbar erleichtert. 



Ahoi! ⚓ ⛴ 😎 🔠



DFDS:
➡️ https://www.dfds.com



HEAVY™:
➡️ https://heavy.tm/case/dfds/

23.08.2024 (2)

Und noch ein spannendes typographisches Fundstück aus Dänemark: Bei einem Ausflug in die Stadt Nykøbing auf der Insel Mors Anfang dieser Woche fielen mir allerorten Plakate und Banner für das vom 22.–24. August stattfindende große Festival der Initiative »Kulturmødet Mors« (»Kulturtreffen/Kulturgipfel Mors«) auf. Die plakative Farbigkeit in leuchtendem Orange, Schwarz und Weiß und vor allem die sperrige, avantgardistische Schrift springen sofort ins Auge und wecken Interesse.



Ich konnte natürlich nicht anders als zu recherchieren, wie dieser Font heißt und wer ihn gestaltet hat – die Schrift nennt sich »Separat« und wurde veröffentlicht von »Or Type« aus Island, genauer vom dahinterstehenden Designer-Duo GUNMAD (Guðmundur Úlfarsson & Mads Freund Brunse).



Mir gefällt’s!



Link zur Schriftquelle:
➡️ https://ortype.is/specimen/separat



Website des Festivals:
➡️ https://kulturmodet.dk/

Instagram:
➡️ https://www.instagram.com/kulturmoedet/

➡️ Facebook:
https://www.facebook.com/kulturmoedet

09.08.2024

Diese Woche poste ich ausnahmsweise gleich zwei Beiträge. Der zweite Beitrag heute ist eigentlich keins der üblichen »Fundstücke«, sondern die Beobachtung eines typographischen Trends. Vielleicht ist dem einen oder anderen unter den Lesern auch schon aufgefallen, dass in auffällig vielen Werbemedien derzeit Schriften auftauchen mit sonderbar tiefen »Scharten« in den Buchstabenformen. Zwei Beispiele dafür sind die aktuellen Auftritte der Burgerkette »Jim Block« (Bild 1) und des Schokoladen-Start-ups »nucao« (Bild 2).



Diese eigenwillige Formgebung hat tatsächlich einen historischen Ursprung, der in einer realen Herausforderung begründet liegt, die früher™ beim analogen Druckprozess auftrat: Wurden nämlich, z.B. beim Hochgeschwindigkeitsdruck von Telefonbüchern die sehr kleinen Texteinträge – zudem auf dünnem, saugfähigen Papier – gedruckt, dann beeinträchtigte der Druckprozess die Formen der Buchstaben. Durch Pressdruck und Geschwindigkeit in der Druckmaschine sowie durch die vom Papier aufgesogene Farbe wurden die gedruckten Buchstaben fetter als die ursprüngliche Druckform. Dies führte dazu, dass kleine Zwischenräume (z.B. in a, e) zuliefen und der Text schwerer lesbar wurde. Um dies vorab zu kompensieren, erfanden Schriftgestalter die sog. »Ink Traps« – Einkerbungen in den Formen der Buchstaben, die sich beim Druckprozess gezielt mit Druckfarbe füllen, so die Buchstabenform »nachträglich korrigieren« und somit die gedruckte Schrift lesbar halten. Wie ein Porzellanteller beim Brennen um ca. 10% schrumpft und somit vor dem Einstellen in den Ofen entsprechend größer sein sollte, damit er hinterher als fertiges Geschirrstück die gewünschte Endgröße hat, wird hier bei der Schriftgestaltung gearbeitet – nur in umgekehrter Richtung.



Eine der bekanntesten Schriften mit diesem Charakteristikum ist »Bell Centennial«, 1975–78 von Matthew Carter für die US-Telefongesellschaft AT&T gestaltet (Bild 3). In Bild 4 habe ich einmal simuliert, was beim Druck einer Schrift durch »Ink Traps« geschieht. Ihre Formgebung ist sozusagen eine vorweggenommene Fehlerkorrektur. Genial, oder? 



Heute, im Zeitalter des Digitaldrucks und bei großen Werbe-Headlines, sind »Ink Traps« oft nur noch reine Zierde. Aber ich freue mich, dass dieser aktuelle Trend gerade an diesen einstigen typographischen Geniestreich erinnert. 🤓 🤩 🔠



Einige Links zu »Ink Trap« Fonts:



nucao Font »Champ«:
➡️ https://typeverything.com/champ

Jim Block Font »ABC Whyte Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/2ggu4



»Area Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/o6g4n



»GT Flexa«:
➡️ https://www.gt-flexa.com/



»Halyard Micro«:
➡️ https://www.dardenstudio.com/halyard

»Magnet«:
➡️ https://frerejones.com/families/magnet



»Neue Machina Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/af2t1



»Pleasure Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/sm4y0



»Uxum«:
➡️ https://www.uxumuxum.com/



»Vinila«:
➡️ https://t1p.de/wy37r

26.04.2024

Das neueste Typo-Fundstück ist heute mal etwas »nerdiger«. Durch ein Werbebanner wurde ich auf die aktuelle Kommunikation des Energiekonzerns E.ON aufmerksam. Dessen Logo aus dem Jahr 2000 ist für mich eins mehrerer typographisch besonderer Logos der 2000er, die mit ihren »ungelenken« Buchstabenformen in der Masse üblicher Wortmarken sofort auffallen und auch gestalterisch polarisieren. Ein weiteres ist das Logo des Healthcare-Konzerns MERCK, das seit 2015 genutzt wird.



In dem besagten Banner fiel mir sofort auf, dass E.ON die Buchstaben der Wortmarke als Ausgangspunkt für die Gestaltung einer kompletten Schrift genutzt hat und diese nun, zusätzlich zum Corporate Font »E.ON Brix Sans« einsetzt.



Ich finde es immer interessant, zu sehen, ob ein Unternehmen die Schrift aus seinem Logo auch in der Kommunikation einsetzt. Meist vollzieht sich diese Entscheidung »vorwärts«, d.h. die Wortmarke wird mit Hilfe einer bestimmten Schrift gestaltet, die es schon gibt und diese dann auch in weiteren Medien genutzt. So verfährt z.B. die Drogeriekette BUDNI mit ihrem Logo- und Corporate Font »Ubuntu«. Manchmal lassen sich Firmen auch für ihr Corporate Design eigens exklusive Schriften entwerfen, die dann von Anfang an durchgängig genutzt werden. So machen es z.B. der Fahrdienst UBER oder die Deutsche Bahn. Hier bei E.ON wurde hingegen offenbar »rückwärts« gearbeitet und 24 Jahre nach Einführung des nur drei Buchstaben enthaltenden Logos eine komplette Schrift daraus extrapoliert.



Um mir einen Überblick über die interessanten, aus dem Logo abgeleiteten Buchstabenformen zu verschaffen, obgleich mir die Schrift nicht lizenziert zur Verfügung steht, habe ich im Bild versucht, mit Photoshop ein populäres »Pangram« (= einen Satz mit allen Buchstaben des Alphabets) aus den enthaltenen Lettern in dem mit dieser Schrift gestalteten E.ON-Geschäftsbericht zusammenzufügen. Es fehlen zwar zwei Zeichen, aber der Gesamteindruck ist recht repräsentativ.



Anschließend habe ich der Schrift noch etwas hinterherrecherchiert. Sie stammt in der Tat aus dem Jahr 2024, trägt den Namen »EON Display« und enthält neben Kleinbuchstaben auch stilistisch passende Versalien, Zahlen und Satzzeichen, die ich jedoch hier leider nicht zeigen kann. Gestaltet wurde sie von Sven Fuchs and Stefan Huebsch vom Fontbüro »Typocalypse«. Mir gefällt die Schrift sehr gut, sie wirkt modern, technisch und trotz ihrer gewissen Eigenheiten in sich stimmig und visuell ansprechend.



Ich hoffe, meine Detektivarbeit war heute thematisch nicht zu speziell, nächste Woche wird es wieder etwas leichter verdaulich … 🔍 😉 🔠



Update, 30.08.2025: Seit dem Datum meines Beitrags hat das neue E.ON-»Brand Design« unter Federführung der Agentur Peter Schmidt Group einige Preise erhalten, u.a. den German Brand Award, Bronze beim ADC Wettbewerb und den Red Dot Design Award 2025.

MERCK-Logo:
➡️ https://www.merckgroup.com/de/publications/media-gallery-logos-blue.html

E.ON-Geschäftsbericht:
➡️ https://annualreport.eon.com/en.html

Fontbüro Typocalypse:
➡️ http://www.typocalypse.com/

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