Ob absichtlich oder ungewollt, so manches Fundstück hat bisweilen eine skurrile, schräge oder amüsante Anmutung bei der Botschaft oder Gestaltung. In dieser Kategorie sammle ich allerlei solcher Beispiele.
Kleines typographisches Fundstück zwischendurch, vor fünf Minuten fotografiert an der Hamburger S-Bahnstation Königstraße. Bei der Parole (?) VERSAL SALZEN musste ich spontan daran denken, dass heute der zweite jährliche »International Caps Lock Day« ist … 😉
☕️ Die Dänen trinken gerne Kaffee, im Pro-Kopf-Ranking des jährlichen Kaffeekonsums belegen sie zusammen mit Luxemburg sowie ihren skandinavischen Nachbarn Finnland, Norwegen und Schweden in Europa zuverlässig einen der vorderen Plätze. Entsprechend gibt es auch in Kopenhagen zahllose Cafés und Coffeeshops.
An der Fassade eines dieser Kaffeehäuser blieb mein Blick an dessen Ladenschild hängen – das heutige typographische Fundstück aus meinem Kopenhagen-Fundus. Hier ist nicht nur der Kaffee »hjemmelavet« (hausgemacht), sondern auch die Lettern der Außenbeschriftung wurden in aufwendiger Handarbeit aus kleinen Holzleisten zusammengezimmert. Eigenwillig, originell, hinreichend lesbar und bezüglich des Angebots exakt auf den Punkt gebracht. ☕ 🤓 🔠
Ich habe in Kopenhagen auch wieder famose Exemplare des »danish g« gefunden und zwar während eines Ausflugs in das alte Stadtviertel Nyboder. Es besteht aus einer Siedlung kleiner, in leuchtendem Ockerorange gestrichener Häuser, die von 1631–41 gebaut wurden, um Wohnungen für die Seeleute der zu jener Zeit stark wachsenden dänischen Flotte zu schaffen. Die Häuser sind bis heute bewohnt.
Die Namen der vielfach nach Pflanzen und Tieren benannten Straßen des Viertels (z.B. Tulpenstraße, Thymianstraße, Kamelstraße, Einhornstraße) sind mit handgemalten Beschriftungen in schwarz auf weiß direkt auf die bunten Fassaden der Häuschen gemalt. Die Schrift wirkt heiter, verspielt und neben einem kessen Zipfel oben auf seiner Rundung trägt das kleine g unten den typisch dänischen, elegant abgeschnittenen Schweif.
Bei der Recherche nach einer ähnlichen kommerziellen Schriftart stieß ich auf ein Alphabet, das zwar nicht dasselbe g enthält, aber ansonsten sehr ähnlich anmutet. Interessanterweise wurde diese Schrift ebenfalls nach historischen Straßenschildern entworfen – die allerdings der deutschen Stadt Backnang in Baden-Württemberg bei Stuttgart entstammen. Die Schrift heißt »Schillerplatz« und stammt vom Schriftdesigner Hellmut G. Bomm.
Und wenn man bei ihr das g nachbearbeitet (Bild 2), ist die Ähnlichkeit nahezu perfekt. Überraschend, angesichts der Tatsache, dass die Entfernung zwischen Backnang und Kopenhagen gut 800 km Luftlinie beträgt. 😯 🔠 🤓
Obwohl ich seit letztem Wochenende längst wieder aus Kopenhagen zurückgekehrt bin, geht es natürlich hier noch eine Weile weiter mit schönen, interessanten, kuriosen oder historischen typographischen Fundstücken aus der dänischen Hauptstadt.
An der Ostseite des Amagertorv, zwischen Østergade und Store Kirkestræde, mitten in dem Bereich der Fußgängerzone, der durch die Altstadt Kopenhagens führt, findet sich ein prunkvolles, vom Stil des Jugendstil/Art-Nouveau inspiriertes Gebäude, über dessen Eingang diese stilvolle ornamentale Inschrift eingemeißelt ist, die meine Aufmerksamkeit erregte.
Ich glaubte zunächst, dort »HØLBROHUS« zu lesen, doch das Nachschlagen im Netz brachte schnell die Erkenntnis, dass die Inschrift »HØIBROHUS« lautet. Inzwischen wandelte sich im Sprachgebrauch zudem das ursprüngliche I zum J, so dass auf Karten und in Online-Quellen vom HØJBROHUS die Rede ist. »Højbro« bedeutet »hohe Brücke« und verweist auf die Adresse des Hauses am Højbro Plads, bzw. auf die südlich davon gelegene so benannte Brücke, die das Stadtzentrum mit der kleinen Insel Slotsholmen verbindet – dem Standort des Schlosses Christiansborg und u.a. Sitz des dänischen Parlaments.
Das fünfstöckige Haus mit seinen kupfergedeckten Turmdächern wurde 1896 nach einem Entwurf des Architekten Richard Leopold Bergmann (1860–1925) fertiggestellt und beherbergt aktuell in den unteren beiden Etagen Boutiquen und edlere Ladengeschäfte und in den oberen Etagen Büroräume.
Wer mehr über das interessante Gebäude lesen möchte oder es abseits der fotografierten Inschrift einmal in voller Pracht bewundern möchte, klicke entweder auf den nachfolgenden Link – oder schaue es sich auch einmal bei einem Besuch in Kopenhagen an. Ich kann die Stadt nur wärmstens als Reiseziel empfehlen … 😉
Über den Kopenhagener Stadtteil Kødby steht auf Wikipedia (gekürzt):
»Kødbyen (dänisch für die Fleischstadt), das ehemalige Fleischereiviertel Kopenhagens, ist ein einzigartiges Stadtquartier mit reicher Geschichte und lebendiger Gegenwart. Einst Zentrum des Fleischhandels, ist es heute ein kultureller Anziehungspunkt, der Kunst, Gastronomie und Nachtleben vereint. Das Quartier gilt als lebendiges Beispiel für die erfolgreiche Verbindung industrieller Vergangenheit und kultureller Gegenwart.«
Das heutige typographische Fundstück prangt auf der Dachkonstruktion oberhalb eines dortigen Industriehofes, auf dem sich verschiedene kulturelle und gastronomische Betriebe versammeln.
Interessant finde ich, wie die Herstellungsmethode der Buchstaben – sehr wahrscheinlich wurden sie aus Holz oder anderen Bauplatten ausgesägt – ihre Form prägt. Die sägende Person versuchte augenscheinlich, einen Kompromiss aus Materialverbrauch, Lesbarkeit und Sägeaufwand zu finden. Ich finde, das ist ihr ziemlich gut gelungen. Besonders kreativ finde ich die Form des G. Durch zwei einfache formale »Kniffe«, nämlich den Winkel oben rechts und die rechteckige Einkerbung unten, gelang es sowohl, das Zeichen einigermaßen eindeutig von einem C zu unterscheiden als auch die Form (gegenüber komplexeren Optionen, siehe Bild 2) maximal einfach zu halten und damit ohne zu große handwerkliche Hürden herstellbar zu machen.
Natürlich würde ein professioneller Schriftgestalter etliches an dieser anarchischen Formgebung zu verbessern finden. Aber mir gefällt’s, auch weil es zum z.T. kiezigen, alternativen Umfeld dieses Viertels einfach sehr gut passt. 🤓 🔠 ☮️
Das amüsante typographische Fundstück dieser Woche habe ich diesmal entdeckt in einem aktuellen Werbespot zum 100-jährigen Jubiläum der S-Bahn Berlin. In einer nachgestellten historischen Szene, die im Jahr 1963 spielen soll, liest ein Fahrgast nämlich offenbar eine Zeitung aus der Zukunft mit der Titelseiten-Schlagzeile »Kennedy besucht Berlin!«, gesetzt in der Schriftart »Impact« (Bild 1 und 2). Diese Schrift erschien nämlich tatsächlich erst im Jahr 1965 – zwei Jahre später. Sie wurde gestaltet vom Schriftdesigner Geoffrey Lee und zunächst von der Schriftgießerei Stephenson Blake in Sheffield veröffentlicht.
Die Designrechte der »Impact« wurden später von der Firma Monotype erworben, die wiederum dem Softwarekonzern Microsoft seit Windows 98 eine Lizenz für die Nutzung der Schrift in der Standard-Fontbibliothek dieses nahezu allgegenwärtigen PC-Betriebssystems einräumte. In der Popkultur des Internet ist sie – vielleicht auch deshalb – bis heute vor allem als »Meme Font« sehr beliebt.
Es gibt eine ganze Reihe ähnlicher schmal-fetter Groteskschriften, die sich im Design ab etwa Mitte der 60er Jahre großer Beliebtheit erfreuten. Im dritten Bild habe ich einige bekanntere dieser Fonts, mit nachgeschlagenen Daten zu ihrer Entstehung, zusammengestellt. Die meisten davon entstanden demnach ebenfalls erst knapp nach Kennedys Besuch … 😉
Wie immer freue ich mich über Ergänzungen, Korrekturen und Anmerkungen zu diesem Beitrag. 🤓 🔠 🔍
Die zwei typographischen Fundstücke der Woche führen uns heute in die Frühzeit der Fernsehunterhaltung. Das erste Fundstück aus dem Jahr 1957 entstammt der unglaublichen Fernsehshow des Bayerischen Rundfunks mit dem Titel »Die ideale Frau«. Unter den Augen einer Jury müssen sich die Kandidatinnen bei allerlei hausfraulichen Tätigkeiten beweisen, um zu bewerten, welche wohl die »beste« in Heim und Küche sei. Zitat aus der ARD-Mediathek (Link zur Sendung unten):
»Die Fragen an die Frauen sind so gewählt, dass man meinen könnte, diese wären komplett doof. Während der gesamten Sendung kommen die Frauen nicht einmal selbst zu Wort. Es reden nur die Männer.«
Während ich dieses TV-Relikt teils ungläubig, teils entsetzt und teils amüsiert verfolgte, fiel mir auf dem Tisch der Jury die wie aus Papier ausgeschnitten wirkende Beschriftung mit ihrem kess angeschrägten R auf. Und dieses Detail musste ich natürlich gleich einmal festhalten.
Das zweite Fundstück ist die – auch inhaltlich – originelle Beschriftung des Ateliers eines Parfumeurs, der in Episode 25 »Fit für Mord« (»How to succeed … at murder«) der vierten Staffel der Kultserie »Mit Schirm, Charme und Melone« (1966) eine Nebenrolle spielte. Bemerkenswert ist neben dem kreativ verballhornten »lateinischen« Motto des Duftkünstlers vor allem der aus tropfenförmigen Elementen erstellte Firmenschriftzug »Perfumier Extraordinary«, dessen Schriftart ein wenig an den Font »Croissant« (1978) erinnert. Auch dieses typographische Requisit war mir einen spontanen Screenshot wert. 🤓 🔠 📺
Das Motto, unter dem ich die heutigen typographischen Fundstücke versammeln möchte, lautet »Do It Yourself«.
Die zu komplett unterschiedlichen Zeitpunkten und an ganz verschiedenen Orten aufgenommenen Fotos haben nämlich eines gemeinsam: Die abgebildeten Schriftzüge oder Botschaften nutzen keine käuflich lizenzierbare Schriftart, sondern wurden für ihren speziellen Zweck und Einsatzort, entweder von den Gewerbetreibenden selbst oder von handwerklich begabten Helferinnen offenbar »selbstgemacht«.
Ich mutmaße aufgrund der Eigenheiten und z.T. Unregelmäßigkeiten der Buchstabenformen, dass die Gestaltung und Ausführung ohne Konsultation professioneller Grafikerinnen oder Typograph*innen erfolgte. Trotzdem sind die Resultate kreativ, fantasievoll und einigermaßen gut zu lesen bzw. zu entschlüsseln (wenn man mal von den nachträglichen Verwitterungen und Beschädigungen absieht). Da die Wörter und Beschriftungen keine kritische oder offizielle Funktion wie z.B. Wegelenkung erfüllen und keine längeren Texte damit gesetzt werden, finde ich die handwerklichen Schwächen hier eher verzeihlich.
Ich finde es spannend, zu sehen, was geschieht, wenn abseits professioneller Schriftgestaltung Buchstaben und Beschriftungen entstehen. Auch »anarchische« Typographie kann inspirierend sein! 😉 🔠
Das typographische Fundstück der Woche verdient diese Bezeichnung diesmal im wahrsten Sinne des Wortes. Im Zuge der schon länger peu à peu ablaufenden Sichtung des Nachlasses im Wohnhaus der vor einiger Zeit verstorbenen Schwiegereltern tauchten diese Woche die dazu gehörenden Bauzeichnungen von Anfang der 1980er Jahre auf. Es sind definitiv Unterlagen aus der »Prä-Computer-Ära«, alles manuell erstellt, analog vervielfältigt und von Hand beschriftet.
Ich war sofort fasziniert davon, dass der verantwortliche Architekt offenbar nicht nur ein Händchen für die präzise Darstellung von Grundrissen und technischen Details hatte, sondern auch ein Talent für kalligraphisches Schreiben. Zwei Beispiele davon habe ich für meine dieswöchige Galerie einmal (anonymisiert und mit freundlicher Genehmigung aller Beteiligten) abfotografiert. Beeindruckend!
Typographisches Fundstück »außer der Reihe«, soeben geknipst aus dem Fenster eines Regionalzugs während der Rückfahrt von einer Dienstreise. Titel des Werks: »Schwerkraft«. 😉