verknallt in Schrift und Buchstaben

Monat: Juli 2024

26.07.2024

Die zwei typographischen Fundstücke der Woche führen uns heute in die Frühzeit der Fernsehunterhaltung. Das erste Fundstück aus dem Jahr 1957 entstammt der unglaublichen Fernsehshow des Bayerischen Rundfunks mit dem Titel »Die ideale Frau«. Unter den Augen einer Jury müssen sich die Kandidatinnen bei allerlei hausfraulichen Tätigkeiten beweisen, um zu bewerten, welche wohl die »beste« in Heim und Küche sei. Zitat aus der ARD-Mediathek (Link zur Sendung unten):

»Die Fragen an die Frauen sind so gewählt, dass man meinen könnte, diese wären komplett doof. Während der gesamten Sendung kommen die Frauen nicht einmal selbst zu Wort. Es reden nur die Männer.«



Während ich dieses TV-Relikt teils ungläubig, teils entsetzt und teils amüsiert verfolgte, fiel mir auf dem Tisch der Jury die wie aus Papier ausgeschnitten wirkende Beschriftung mit ihrem kess angeschrägten R auf. Und dieses Detail musste ich natürlich gleich einmal festhalten.



Das zweite Fundstück ist die – auch inhaltlich – originelle Beschriftung des Ateliers eines Parfumeurs, der in Episode 25 »Fit für Mord« (»How to succeed … at murder«) der vierten Staffel der Kultserie »Mit Schirm, Charme und Melone« (1966) eine Nebenrolle spielte. Bemerkenswert ist neben dem kreativ verballhornten »lateinischen« Motto des Duftkünstlers vor allem der aus tropfenförmigen Elementen erstellte Firmenschriftzug »Perfumier Extraordinary«, dessen Schriftart ein wenig an den Font »Croissant« (1978) erinnert. Auch dieses typographische Requisit war mir einen spontanen Screenshot wert. 🤓 🔠 📺 



ARD-Mediathek:
➡️ https://www.ardmediathek.de/video/alpha-retro/wir-suchen-die-ideale-frau/ard-alpha/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdC9GMjAyMFdPMDAzODM4QTA

Font »Croissant«:
➡️ http://www.identifont.com/show?4SD

19.07.2024

Das Motto, unter dem ich die heutigen typographischen Fundstücke versammeln möchte, lautet »Do It Yourself«.

Die zu komplett unterschiedlichen Zeitpunkten und an ganz verschiedenen Orten aufgenommenen Fotos haben nämlich eines gemeinsam: Die abgebildeten Schriftzüge oder Botschaften nutzen keine käuflich lizenzierbare Schriftart, sondern wurden für ihren speziellen Zweck und Einsatzort, entweder von den Gewerbetreibenden selbst oder von handwerklich begabten Helferinnen offenbar »selbstgemacht«.



Ich mutmaße aufgrund der Eigenheiten und z.T. Unregelmäßigkeiten der Buchstabenformen, dass die Gestaltung und Ausführung ohne Konsultation  professioneller Grafikerinnen oder Typograph*innen erfolgte. Trotzdem sind die Resultate kreativ, fantasievoll und einigermaßen gut zu lesen bzw. zu entschlüsseln (wenn man mal von den nachträglichen Verwitterungen und Beschädigungen absieht). Da die Wörter und Beschriftungen keine kritische oder offizielle Funktion wie z.B. Wegelenkung erfüllen und keine längeren Texte damit gesetzt werden, finde ich die handwerklichen Schwächen hier eher verzeihlich.

Ich finde es spannend, zu sehen, was geschieht, wenn abseits professioneller Schriftgestaltung Buchstaben und Beschriftungen entstehen. Auch »anarchische« Typographie kann inspirierend sein! 😉 🔠

  1. Parkplatz in Dresden (2014)


  2. Gaststätte in Meißen (2017)


  3. Blumenladen in Hamburg (2024)


  4. Modegeschäft in Edinburgh, Schottland (2009)


  5. Kathedrale auf Gozo, Republik Malta (2002)


  6. Galerie in Salzburg, Österreich (2009)


  7. Metzgerei in Ennis, Republik Irland (2013)


  8. Erotikboutique in Göttingen (2018)


  9. Bar in Gera (2018)



09.07.2024

Heute gibt’s mal wieder ein typographisches Fundstück außerhalb des regulären Posting-Taktes, denn das Thema ist etwas spezieller und hat zudem mit einem meiner häufigen Tätigkeitsfelder »Fahrgastlenkung im ÖPNV« zu tun:



Am Wochenende stolperte ich in meinem Hamburger Wohnviertel auf dem S-Bahnsteig des Bahnhofs S/U Barmbek über das kleine b und das kleine k auf der Stationsbeschilderung. »Aha, eine andere Schrift«, dachte ich zuerst und dann bei näherem Hinsehen: »Oho, eine komplett neue Beschilderung!«. Im Zuge der Neustrukturierung der Hamburger S-Bahnlinien zum 10. Dezember 2023, so fand ich anschließend heraus, erhielten etliche der davon betroffenen Stationen neue Schilder. Ausgänge sind nun mit Buchstaben-Indizes gekennzeichnet, Abgänge und Fahrstühle klarer ausgewiesen, die überarbeiteten Piktogramme sind größer und deutlicher geworden und die Informationen auf den Schildern wurden neu gegliedert. Insgesamt eine Verbesserung, wie ich finde, auch wenn die Textinformation zu den Straßennamen der Ausgänge nun etwas kleiner geworden ist. Das Foto zeigt die Anmutung zweier Schilder auf dem Bahnsteig »vorher« und »nachher«.



Die S-Bahn Hamburg hat zu ihren Maßnahmen und zum Austausch der Schilder eine kompakte Info-Seite veröffentlicht (Update, 30.08.2025: die betreffende Seite ist leider nicht mehr online):

»Die neuen Schilder haben ein paar Vorteile: klarere Strukturierung, bessere Sortierung nach räumlichen Zusammenhängen, visuell betonte Kennzeichnung – besonders bei den Ausgängen – und optimierte Piktogramme.«



Keine Angaben habe ich allerdings bisher dazu gefunden, wie die neue Schriftart auf den Hamburger Schildern heißt, die hier die bisherige Schrift »Deutsche Bahn WLS« (WLS = Wegeleitsystem) ersetzt und ob dieser Font künftig auch an S-Bahnhöfen außerhalb Hamburgs zum Einsatz kommen wird. Vielleicht hat ja einer der hier Mitlesenden dazu ergänzende Kenntnisse – ich würde mich freuen.



(Update, 30.08.2025: Inzwischen konnte ich herausfinden, dass die neue Schriftart mit dem Namen »Arrow« bezeichnet ist. Zu ihren gestalterischen Urheber*innen habe ich bisher leider noch keine weiteren Angaben ermitteln können.)

05.07.2024

Bei einem Blick in mein Archiv typographischer Fundstücke fiel mir diese Woche auf, dass ich zufällig auf meinen aktuellen Reisen nach Regensburg und Stralsund Fotos von Schriftzügen an Gebäuden geknipst habe, die ich vor mehr als einem Jahrzehnt schon einmal abgelichtet hatte – nur in einem jeweils komplett anderen Zustand. In Regensburg wurde der Schriftzug an dem inzwischen geschlossenen Geschäft »SCHUH Bar« kürzlich abmontiert, sodass nur noch der Schatten der Buchstaben übrig blieb. In Stralsund hingegen wurde der damals fast zerstörte Schriftzug an der ebenso baufälligen Fassade der »Milchbar« originalgetreu restauriert und inzwischen genießen in dem Café/Restaurant darunter wieder Einheimische und Touristen ihre Speisen und Getränke.



So fange ich in meiner Sammlung hin und wieder nicht nur einzigartige Zeugnisse der Schriftkultur ein, sondern dokumentiere ab und zu – wenn auch hier unbeabsichtigt – ihr bedauerliches Verschwinden oder ihre erfreuliche Bewahrung. Und das ist ja abseits der Schönheit der Buchstabenformen genauso spannend wie die Schriftzüge selbst … oder?