Zu den Erkenntnissen beim Recherchieren zu historischen typographischen Funden gehört auch, dass man manchmal in einer Sackgasse landet oder online ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr weiterkommt. Würde ich für dieses Hobby finanziell entlohnt, hätte ich nicht übel Lust, manchem noch unklaren Detail auch offline nachzuforschen, an Lebensorte der Urheber*innen zu reisen, Stadtarchive oder Bibliotheken zu besuchen und in alten Dokumenten zu blättern. Doch als reiner Steckenpferdreiter ist es dann sinnvoller, die Recherche in solchen Fällen abzubrechen und sich mit dem zu begnügen, was im Netz auffindbar war.

So ergab es sich mit dem heutigen Fundstück, das ich (ebenfalls wieder) in Freiburg entdeckte. Ziemlich versteckt und hoch oben, neben dem Türsturz zum Eingang einer Anwaltskanzlei in einem großen prächtigen Eckgebäude, erspähte ich zufällig ein steinernes Relief, das ich zunächst für das einstige Firmenschild des benannten Gewerbes hielt – und machte ein Foto davon.

Die untere linke Ecke der Relieftafel ist mittlerweile durch den nachträglich eingebauten, modernen Türrahmen verdeckt, trotzdem bleibt die Inschrift komplett lesbar, sie lautet: »Architekten Hans-Schütte W.-Schneider Mitarbeiter«. Auf dem Foto eines Users bei Google Maps sind die Platzierung und Größe des Reliefs sehr gut zu sehen.

Interessant an der Schreibweise fand ich die Bindestriche zwischen den Vor- und Nachnamen beider Personen und dass der Vorname der erstgenannten ausgeschrieben, der nachfolgende jedoch abgekürzt ist.

Zuerst versuchte ich, etwas zu dem Gebäude an dieser Adresse herauszufinden und zu ergründen, ob dort ggf. zu früherer Zeit ein Architekturbüro ansässig war. Das eindrucksvolle Gebäude mit abgerundeter Eckfassade trägt bis heute den Namen »Dreisameck«, benannt nach dem Fluss Dreisam, der keine 80 Meter entfernt davon durch Freiburg fließt.

Unter dieser Adresse, an der Kaiser-Joseph-Straße 284, so erfuhr ich weiter, befand sich keineswegs die Niederlassung der auf dem Schild benannten Architekten. Vielmehr ist die Tafel eine Art Signatur, da sie maßgeblich für den Entwurf und die Planung des Hauses verantwortlich waren.

»Hier erwarb Anfang des Jahres 1909 die seit 1906 in Freiburg ansässige Dresdner Bank das Eckgrundstück Schreiber-/Kaiserstraße. Sie ließ das darauf stehende Wohngebäude abreißen und begann Mitte des Jahres mit der Errichtung eines Neubaus. Geplant und ausgeführt wurde das imposante Gebäude von den Architekten H. Schütte und W. Schneider. Die Fassade, ganz aus Muschelkalk (Würzburg) und Granitgestein (Yach), wurde im barocken Erscheinungsbild, aber auch unter vom Jugendstil geprägten Einfluss gestaltet.«

QUelle: Badische Zeitung

Mit dieser Auskunft bestätigte sich auch meine Vermutung, dass die für das Relief ausgewählte Schrift in der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende zu suchen war. Sie erinnerte mich auf Anhieb an eine Gruppe von Schriften jener Zeit, die dem Jugendstil zuzuordnen sind. Und tatsächlich passen auch die Veröffentlichungsdaten dieser spontan assoziierten Schriften perfekt zum Baujahr des Hauses: Als Erstes würde ich die »Trianon« (Heinrich Wieynck für Bauersche Gießerei, 1905) nennen, digital neu interpretiert von Ralph M. Unger unter dem Namen »RMU Trifels« (2020). Sehr ähnlich ist die »Manola« (Ludwig & Mayer, 1906), ebenfalls neu interpretiert von Ralph M. Unger als »RMU Manolo« (2019). Weitere, spätere – aber auch bis heute bekanntere – Varianten sind die »Nuptial Script« (Edwin W. Shaar für Intertype Corporation, 1952) und »Floridian Script« (Monotype, 1972). Und in dem online einsehbaren historischen Schriftmusterbuch »Hauptprobe in gedrängter Form der Bauerschen Giesserei, Frankfurt am Main« (1900) auf Seite 151 findet sich eine sehr anmutige Verwandte unter dem Namen »Zirkularschrift Chic«.

Die gemeißelte Inschrift ist zwar nicht deckungsgleich mit den recherchierten Schriftarten, aber sowohl ihre »hybride« Anmutung zwischen Schreib- und Druckschrift und etliche formale Details lassen dennoch eine große Verwandtschaft erkennen. Vermutlich wurde der Schriftzug eigens für die auftraggebenden Architekten gestaltet, was auch die Unterschiede zwischen mehrmals vorkommenden gleichen Buchstaben (am deutlichsten z.B. bei den beiden S) bekräftigen.

Doch wer waren die beiden Architekten, die dieses Gebäude entwarfen? Und waren sie seinerzeit noch für andere, bis heute erhaltene Bauwerke verantwortlich? Die Recherche dazu gestaltete sich deutlich mühsamer. Schon der Vorname des zweiten Mitarbeiters auf dem Schild ließ sich nicht herausfinden, weder im Kontext mit seinem Kompagnon noch mit der Profession als Architekt – und allein mit dem Nachnamen »Schneider« kam ich schon gar nicht weiter.

Hingegen gibt es im Netz zwar zahlreiche Hinweise auf einen Hans Schütte, der während der fraglichen Zeit als Architekt tätig war, jedoch sind diese recht widersprüchlich. Eine Angabe »geboren 1897, gestorben 1927« muss entweder falsch sein oder sich auf einen anderen Architekten gleichen Namens beziehen, denn ansonsten wäre Herr Schütte im Baujahr des Dreisameck erst 12 Jahre alt gewesen. Auf der Website des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin findet sich ein spärlicher Eintrag ohne Todesjahr zu einem Architekten Hans Schütte, der 1871 geboren worden sein soll, was schon deutlich plausibler erscheint.

In der Chronik an Gebäuden unter Federführung eines Hans Schütte finden sich zeitlich passende Einträge, interessanterweise aus Berlin, also quasi am anderen Ende des Landes. So etwa für die Gemeindeschule in Berlin-Lichtenberg (erbaut 1904/1905) sowie, im gleichen Stadtbezirk, die Alte Feuerwache (entstanden um 1898). An zwei anderen Stellen wird die Beteiligung eines Hans Schütte – sogar mit dem Titel »Regierungsbaumeister« – am Bau des Rathauses in Berlin Köpenick erwähnt:

»Für die Ausführung des ohne Grunderwerb, Innenausstattung und Bauleitungskosten auf 375.000 Mark bilanzierten Bauwerks holten sich die Stadtväter am 4. Februar 1901 Regierungsbaumeister Hans Schütte aus Bonn an die Spree, der die Rathausbaukommission am 12. April 1901 mit seinen Entwürfen zu überzeugen vermochte.«

Quelle: berlin.de

»Neubau (1902/05), märkische Backsteingotik mit fünfteiligem Ziergiebel und Turm (54 m). Entwurf von Regierungsbaumeister Hans Schütte

Quelle: tourbee.de

Dabei musste ich es dann belassen, mehr war mit meinen Mitteln nicht herauszufinden. Aber es war wieder einmal eine spannende Reise in die Vergangenheit, angestoßen von einem zufälligen Seitenblick in den unscheinbaren Hauseingang eines Freiburger Geschäftshauses. 🤓 🔠 🏛️