Das Typographische Fundstück

verknallt in Schrift und Buchstaben

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20.09.2024

Das Schöne an den typographischen Fundstücken, die ich mir so Woche für Woche zusammenknipse, sind oftmals die Dinge, die ich darüber lerne, wenn ich den Schriften, Orten oder Wörtern hinterherrecherchiere. Diese Woche freue ich mich mal wieder über ein zauberhaftes Exemplar meines Lieblingsbuchstabens (das kleine »g«), entdeckt auf einer sonntäglichen Stadtwanderung durch Hamburg am Fähranleger »Neumühlen/Övelgönne«. Auf dem fotografierten Schild ist der Name dieses Gebiets im Hamburger Stadtteil Ottensen in einer alternativen Schreibweise mit nur einem »ö« umgesetzt. Aber was bedeutet eigentlich »Oevelgönne«? Ich war neugierig und fragte das Internet.

(Update, 03.09.2025: Das anfängliche Rechercheergebnis wurde gegenüber dem Original-LinkedIn-Posting aktualisiert, da aufgrund eines Kommentars weitere mögliche Deutungen hinzukamen.)

»Der Name des Stadtteils bedeutet ›Übelgunst‹ und bezieht sich dabei entweder auf die zwielichtige Einstellung der ersten Bewohner oder aber auf die schlechte Bebaubarkeit des Geländes.«

Wikipedia

»Der Ortsname ›Ovelgönne‹ erklärt sich wahrscheinlich aus einer Beschreibung der Winkelmann’schen Chronik von 1671, wonach ›Ovelgönne‹ von dem plattdeutschen ›Oevelgönne‹, das heißt ›übel gegönnt‹ (mißgönnt), ableitet. Dies bezieht sich auf die Burg Ovelgönne, die im Jahre 1514 errichtet und kurz danach von den Friesen belagert wurde. In diesem Zusammenhang soll der Oldenburgische Graf (Graf Johann von Oldenburg) gesagt haben: ›Ick günn se er övel‹.

Damit ist die Namensdeutung aber nicht zu Ende. Es gibt z. B. in den Niederlanden ein Euvelgönne. Dies soll soviel heißen wie ›Över gunnen‹, auf Hochdeutsch: ›Auf der anderen Seite‹. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß andere Ortslagen, die den Namen Ovelgönne tragen, zum Teil an Gewässern, d. h. jeweils auf der anderen Seite, gelegen sind. Als Beispiel ist hier Ovelgönne bei Buxtehude anzuführen; auch unser Ovelgönne in der Wesermarsch liegt in der Luftlinie nur 6 km von der Weser entfernt.«

(gemeinde-ovelgoenne.de)



Ist »Übelgunst« nicht – trotz seiner eher negativen Bedeutung – ein famoses altes Wort? Ich nehme das ab jetzt jedenfalls in meinen Wortschatz auf. 

🙂 💬 🔠

(Im zweiten Bild habe ich einmal versucht, die rustikalen, unregelmäßig-gerundeten Originalformen des kleinen g »ordentlich« und etwas moderner nachzuzeichnen.)

13.09.2024

Das neueste Motiv dieser Woche stammt diesmal aus Trier, wo ich mich letzte Woche für einige Tage in der Nähe aufhielt. Am Fuß des hohen Sandsteinfelsens am linken Moselufer nahe dem alten Vorort Pallien findet sich an der Felswand eine nahezu unleserliche aufgemalte Hinweistafel.



Der ursprüngliche Text lautet:

Aufgang


Schneidershof


Weißhaus ↗


Kockelsberg



Aber kann man überhaupt noch von Typografie sprechen, wenn verwitterte Buchstaben kaum oder gar nicht mehr zu erkennen sind? Ich meine: ja. Alle Zeichen, deren Zweck es ist oder war, eine Botschaft zu vermitteln, würde ich dazu zählen – ungeachtet ihrer Entzifferbarkeit. Und manchmal entstehen durch Alterung, Verfall oder Beschädigung an einst intakten Buchstaben sogar interessante neue Formen, die wiederum Inspiration für neue Schriften sein können. Drei Beispiele dafür habe ich nachfolgend einmal verlinkt.



»Rock It« (Flecken, Löcher, Risse):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/rock-it-font-fenotype

»Elementa Rough« (Unregelmäßgikeiten, Strukturen):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/elementa-rough-pro-font-fontfont

»TRGrunge« (Erosion, Korrosion):


➡️ https://www.myfonts.com/de/collections/trgrunge-font-ingrimayne-type

06.09.2024

Der Urlaub ist vorbei und das heutige typographische Fundstück der Woche habe ich auf der Rückreise aufgegabelt: Eine Etappe der Route wurde mit der Fähre Oslo – Kopenhagen zurückgelegt und schon beim Belegen der Bordunterkunft fielen mir im Korridor die schönen Ziffern an den Kabinentüren auf. Die fette, leicht rechteckig proportionierte Hausschrift »DFDS« der geichnamigen Reederei (»Det Forenede Dampskibs-Selskab A/S« = Die vereinigte Dampfschifffahrtsgesellschaft) gehört seit 2015 zum visuellen Erscheinungsbild des Unternehmens und wurde nach meinen Recherchen von dem in Kopenhagen ansässigen Designbüro »HEAVY™« unter Federführung des Designers Robert Daniel Nagy gestaltet. Mal wieder eine Bestätigung für mich als Liebhaber und Bewunderer skandinavischen (Grafik-)Designs, das auffällig oft beispielhaft Funktionalität, Schönheit und Einfachheit zu vereinen vermag.



Was mich neben der Ästhetik der Schrift am meisten beeindruckt hat, war die konsequente Anwendung des Corporate Designs und dessen Typographie an Bord des gesamten Schiffes. Nahezu alle Beschriftungen auf sämtlichen Decks folgten dem »Look« des Unternehmens – vom riesigen Logo auf dem tiefblauen Schornstein über die Kennzeichnung der Rezeption, der Toiletten, der Wegweiser und Orientierungspläne, der kleinen Preisschilder im Bord-Shop, der Speisekarten und Werbeaufsteller im Restaurant bis hin zu den Einwurfhinweisen auf den Abfalleimern. So konsistent kenne ich das ansonsten nur von Autoherstellern und Fluggesellschaften. Auf diese Weise wird die wortwörtliche »Customer Journey« zu einem intuitiv erfassbaren und lückenlosen Gesamterlebnis, welches nicht nur visuell punktet, sondern für die Passagiere auch Abläufe, Wege und Aktivitäten auf dem Schiff spürbar erleichtert. 



Ahoi! ⚓ ⛴ 😎 🔠



DFDS:
➡️ https://www.dfds.com



HEAVY™:
➡️ https://heavy.tm/case/dfds/

30.08.2024

Und wieder zwei im Urlaub »aufgegabelte« typographische Fundstücke: Eine kühl-nordische dreidimensionale Hausinschrift im Zentrum des gleichnamigen norddänischen Insel-Küstenstädtchens (Nykøbing Mors) und ein mit kreativ verschnörkelten Lettern versehener Wanderwegweiser in der Nähe des schwedischen Sees Kymmen in Värmlands län, der auf die winzige Gehöftsiedlung Honkamack mitten im Wald verweist. 🇩🇰 🇸🇪 🔠 😎

23.08.2024 (2)

Und noch ein spannendes typographisches Fundstück aus Dänemark: Bei einem Ausflug in die Stadt Nykøbing auf der Insel Mors Anfang dieser Woche fielen mir allerorten Plakate und Banner für das vom 22.–24. August stattfindende große Festival der Initiative »Kulturmødet Mors« (»Kulturtreffen/Kulturgipfel Mors«) auf. Die plakative Farbigkeit in leuchtendem Orange, Schwarz und Weiß und vor allem die sperrige, avantgardistische Schrift springen sofort ins Auge und wecken Interesse.



Ich konnte natürlich nicht anders als zu recherchieren, wie dieser Font heißt und wer ihn gestaltet hat – die Schrift nennt sich »Separat« und wurde veröffentlicht von »Or Type« aus Island, genauer vom dahinterstehenden Designer-Duo GUNMAD (Guðmundur Úlfarsson & Mads Freund Brunse).



Mir gefällt’s!



Link zur Schriftquelle:
➡️ https://ortype.is/specimen/separat



Website des Festivals:
➡️ https://kulturmodet.dk/

Instagram:
➡️ https://www.instagram.com/kulturmoedet/

➡️ Facebook:
https://www.facebook.com/kulturmoedet

23.08.2024 (1)

Aus Urlaubsgründen wird die – selbstverständlich trotzdem fortgesetzte – Serie der typographischen Fundstücke vorübergehend aus eher unkommentierten Schnappschüssen bestehen, die mir während meiner Ausflüge durch Skandinavien ins Auge fallen. Heute beginne ich mit zwei schönen historischen Motiven aus dem beschaulichen Städtchen Skive in Midtjylland, Dänemark.

16.08.2024

Das typographische Fundstück der Woche ist diesmal das Logo für ein Wellness Resort in Polen, das ich vor geraumer Zeit auf einem Werbeaufkleber in der Berliner U-Bahn sah. Auf den ersten Blick gefiel es mir ziemlich gut (von der nicht so dollen Schrift für die Unterzeile mal abgesehen). Auf den zweiten Blick störte mich jedoch die Inkonsistenz bei der Ausblendung der Haarlinien, die bei dem Buchstaben U zu beobachten ist. Denn würde in diesem Logo strenge Logik walten, dürfte dieser dünne senkrechte Strich nicht da sein. Hatte der Designer womöglich »Angst«, man könnte das Wort AQUA ansonsten nicht lesen? Hat ihm sein Auftraggeber die Linie wieder reinkorrigiert? Wir werden es höchstwahrscheinlich nicht erfahren. Mir persönlich würde eine »konsequente« Variante der Wortmarke besser gefallen.



Wie geht es meinen Lesern? Dürfen Logos, die eine typographische »Verfremdung« als Designprinzip nutzen, derart inkonsistent sein? Was hat Priorität – Logik oder Ästhetik? Sind (selbst gesetzte) gestalterische Regeln dazu da, sie vereinzelt bewusst zu brechen? Gebt gerne Eure Meinung dazu in den Kommentaren ab.



Website des Resorts:
➡️ https://www.aqua-resort.pl/

14.08.2024

Kurioses kleines typographisches Fundstück zwischendurch mit einem spiegelverkehrten »Et-Zeichen« – entdeckt in Havelberg (Brandenburg) an der Fassade der »Pension Zur Alten Post«. Leider konnte ich vom Fahrersitz des Autos aus nicht selbst fotografieren, aber bei Wikimedia Commons fand ich ein hochauflösendes Foto unter Creative-Commons-Lizenz, aus dem dieser Ausschnitt stammt. 



Quelle des Originalfotos »Alte Post Havelberg.JPG«:


Urheber: Kvikk | Wikimedia Commons | Lizenziert unter CC BY-SA 4.0


➡️ https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Alte_Post_Havelberg.JPG

09.08.2024

Diese Woche poste ich ausnahmsweise gleich zwei Beiträge. Der zweite Beitrag heute ist eigentlich keins der üblichen »Fundstücke«, sondern die Beobachtung eines typographischen Trends. Vielleicht ist dem einen oder anderen unter den Lesern auch schon aufgefallen, dass in auffällig vielen Werbemedien derzeit Schriften auftauchen mit sonderbar tiefen »Scharten« in den Buchstabenformen. Zwei Beispiele dafür sind die aktuellen Auftritte der Burgerkette »Jim Block« (Bild 1) und des Schokoladen-Start-ups »nucao« (Bild 2).



Diese eigenwillige Formgebung hat tatsächlich einen historischen Ursprung, der in einer realen Herausforderung begründet liegt, die früher™ beim analogen Druckprozess auftrat: Wurden nämlich, z.B. beim Hochgeschwindigkeitsdruck von Telefonbüchern die sehr kleinen Texteinträge – zudem auf dünnem, saugfähigen Papier – gedruckt, dann beeinträchtigte der Druckprozess die Formen der Buchstaben. Durch Pressdruck und Geschwindigkeit in der Druckmaschine sowie durch die vom Papier aufgesogene Farbe wurden die gedruckten Buchstaben fetter als die ursprüngliche Druckform. Dies führte dazu, dass kleine Zwischenräume (z.B. in a, e) zuliefen und der Text schwerer lesbar wurde. Um dies vorab zu kompensieren, erfanden Schriftgestalter die sog. »Ink Traps« – Einkerbungen in den Formen der Buchstaben, die sich beim Druckprozess gezielt mit Druckfarbe füllen, so die Buchstabenform »nachträglich korrigieren« und somit die gedruckte Schrift lesbar halten. Wie ein Porzellanteller beim Brennen um ca. 10% schrumpft und somit vor dem Einstellen in den Ofen entsprechend größer sein sollte, damit er hinterher als fertiges Geschirrstück die gewünschte Endgröße hat, wird hier bei der Schriftgestaltung gearbeitet – nur in umgekehrter Richtung.



Eine der bekanntesten Schriften mit diesem Charakteristikum ist »Bell Centennial«, 1975–78 von Matthew Carter für die US-Telefongesellschaft AT&T gestaltet (Bild 3). In Bild 4 habe ich einmal simuliert, was beim Druck einer Schrift durch »Ink Traps« geschieht. Ihre Formgebung ist sozusagen eine vorweggenommene Fehlerkorrektur. Genial, oder? 



Heute, im Zeitalter des Digitaldrucks und bei großen Werbe-Headlines, sind »Ink Traps« oft nur noch reine Zierde. Aber ich freue mich, dass dieser aktuelle Trend gerade an diesen einstigen typographischen Geniestreich erinnert. 🤓 🤩 🔠



Einige Links zu »Ink Trap« Fonts:



nucao Font »Champ«:
➡️ https://typeverything.com/champ

Jim Block Font »ABC Whyte Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/2ggu4



»Area Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/o6g4n



»GT Flexa«:
➡️ https://www.gt-flexa.com/



»Halyard Micro«:
➡️ https://www.dardenstudio.com/halyard

»Magnet«:
➡️ https://frerejones.com/families/magnet



»Neue Machina Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/af2t1



»Pleasure Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/sm4y0



»Uxum«:
➡️ https://www.uxumuxum.com/



»Vinila«:
➡️ https://t1p.de/wy37r

07.08.2024

Das amüsante typographische Fundstück dieser Woche habe ich diesmal entdeckt in einem aktuellen Werbespot zum 100-jährigen Jubiläum der S-Bahn Berlin. In einer nachgestellten historischen Szene, die im Jahr 1963 spielen soll, liest ein Fahrgast nämlich offenbar eine Zeitung aus der Zukunft mit der Titelseiten-Schlagzeile »Kennedy besucht Berlin!«, gesetzt in der Schriftart »Impact« (Bild 1 und 2). Diese Schrift erschien nämlich tatsächlich erst im Jahr 1965 – zwei Jahre später. Sie wurde gestaltet vom Schriftdesigner Geoffrey Lee und zunächst von der Schriftgießerei Stephenson Blake in Sheffield veröffentlicht. 



Die Designrechte der »Impact« wurden später von der Firma Monotype erworben, die wiederum dem Softwarekonzern Microsoft seit Windows 98 eine Lizenz für die Nutzung der Schrift in der Standard-Fontbibliothek dieses nahezu allgegenwärtigen PC-Betriebssystems einräumte. In der Popkultur des Internet ist sie – vielleicht auch deshalb – bis heute vor allem als »Meme Font« sehr beliebt.



Es gibt eine ganze Reihe ähnlicher schmal-fetter Groteskschriften, die sich im Design ab etwa Mitte der 60er Jahre großer Beliebtheit erfreuten. Im dritten Bild habe ich einige bekanntere dieser Fonts, mit nachgeschlagenen Daten zu ihrer Entstehung, zusammengestellt. Die meisten davon entstanden demnach ebenfalls erst knapp nach Kennedys Besuch … 😉



Wie immer freue ich mich über Ergänzungen, Korrekturen und Anmerkungen zu diesem Beitrag. 🤓 🔠 🔍



Link zum Jubiläumsvideo »100 Jahre S-Bahn Berlin«:


➡️ https://www.youtube.com/watch?v=-x0RU3djZww

Einige Links zur Schrift »Impact«:


➡️ https://de.m.wikipedia.org/wiki/Impact_(Schriftart)
➡️ https://www.talkpaperscissors.info/post/157-impact-an-incomplete-history-of-type
➡️ https://learn.microsoft.com/de-de/typography/font-list/impact

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