verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Ramponiert (Seite 1 von 3)

Wenn der Zahn der Zeit, Korrosion, UV-Strahlen und andere Kräfte auf Schrift und Schriftzüge einwirken, verändern sie sich unweigerlich. Manchmal bis hin zur Unleserlichkeit, gelegentlich aber durch den Verfall auch interessant verfremdet.

25.07.2025

Das typographische Fundstück der Woche ist heute eine Entdeckung meines Agenturkollegen Jens Tathoff. Der eine oder andere Hamburger mag ein ähnliches Foto in den letzten Tagen auch bereits im Rahmen lokaler Nachrichtenmeldungen gesehen haben. Denn einige angrenzende Gebäude des legendären Hotel Atlantic, dessen repräsentativer Bau im Mai 1909 eröffnet wurde, werden derzeit abgerissen, um Platz für einen modernen Hotelanbau, eine Wellness-Oase sowie Wohngebäude zu schaffen. In bester Lage entstehen an der Adresse »An der Alster« bzw. »Alstertwiete«, 29 Neubauwohnungen mit einer Größe zwischen 25 und 117 m², wovon gemäß dem »Hamburger Drittelmix« zwölf Wohneinheiten – so heißt es – öffentlich gefördert und zu erschwinglichen Mieten (!) angeboten werden sollen.



Die ästhetisch eher unspektakulären bisherigen Bauten in der direkten Nachbarschaft des Hotels müssen in den späten 1960er oder frühen 1970er Jahren entstanden sein. Auf alten Fotos des Hotels, wie diesem, ist am nordöstlichen Flügel noch ein kleiner dreigeschossiger Anbau zu sehen, der die Seitenfassade des Hotels, die nun durch den Abriss der neueren Gebäude wieder zutage tritt, größtenteils frei ließ. Später wurde dieses niedrige Gebäude dann durch modernere ersetzt, die in der Höhe zu den oberen Etagen des Hotels aufschließen, wie man z.B. hier sehen kann. Von beiden Gebäuden ist auf dem 3. Foto noch sehr schön die jeweilige Silhouette zu erkennen.



Auf der nun freigelegten Fassade prangt knapp unterhalb der Dachkante in dunkelroten Versalien der Schriftzug »ATLANTI(C) HOTEL«. Das Besondere an der dort verwendeten Schriftart ist einerseits der geringe Kontrast der Strichstärke zwischen waagerechten und senkrechten Strichen und andererseits das nach links wehende »Fähnchen« auf der Spitze des A. Bei meiner Recherche nach einer Schrift, die für die Fassadenbemalung Vorlage gewesen sein könnte, wies die »ITC Novarese Bold« die größte Ähnlichkeit auf.

(Update 02.09.2025: Inzwischen weiß ich, dass diese Schrift erst 1984 veröffentlicht wurde, sie kam somit als Vorlage zu spät.)

Interessant ist, dass ich kein historisches Fotomotiv finden konnte, auf dem für die Schriftzüge auf dem Dach an der Vorderfront oder dem südlichen Eckturm des Hotels eine vergleichbare Schrift genutzt wurde. Diese seitliche Beschriftung hatte ihren eigenen Stil.



Bald wird sie durch die neuen Anbauten wieder verdeckt sein, aber für eine Weile durften wir einige Jahrzehnte in die Hotelgeschichte zurückschauen. 🤓 🔠



»ITC Novarese Bold«:
➡️ https://www.myfonts.com/de/products/pro-bold-novarese-363334

11.07.2025

Acht Motive liegen noch in meinem Ordner mit typographischen Fundstücken aus Barcelona. Es wird allerdings nicht einfacher, aus den verbliebenen Bildern sinnvolle Cluster zu bilden, die ich turnusmäßig hier posten kann. Zweien der Fotos jedoch könnte man die Überschrift »Kultur« zuweisen, somit soll dies das Motto des heutigen Beitrags sein.



Das erste Motiv knipste ich am berühmten Altstadtboulevard »La Rambla«, hinter der Jalousie verbirgt sich das Geschäft eines Notenhändlers. Die Paillettenschrift im oberen Teil des Fotos ist sehr wahrscheinlich eine Eigenkreation. Die handgemalten Buchstaben der Schrift darunter erinnern vage an »softe« Serifenschriften aus den 1970er- und 1980er-Jahren, aber einen 100%igen Treffer bei der Identifikation konnte ich nicht landen – vermutlich war auch hier bei der Erstellung einiges an typographischer Fantasie im Spiel.



Das zweite Motiv entdeckte ich an der belebten Straße »Carrer Gran de Gràcia«, hoch über den Köpfen der Passanten: eine alte Inschrift, vermutlich u.a. für eine einst dort ansässige öffentliche Bibliothek (BIBLIOTECA PUBLICA). Sie wirkt, als sei sie einst komplett unter Putz versteckt worden, der dann jedoch im Laufe der Zeit wieder abblätterte. Der zweite noch halbwegs lesbare Begriff oben (PENSIONES DOTES [?]) wird übersetzt mit »Mitgiftrenten«. Eine interessante Kombination – und daher ist es wohl angebracht, anzunehmen, dass diese beiden Services auf getrennten Etagen untergebracht waren … 😉 🤓 🔠

07.07.2025

Und wieder ist es Zeit für ein typographisches Montagsbonbon – heute beschäftigt es sich mit dem »Reiz des Unvollständigen«. Geknipst habe ich es Mitte Juni in Stralsund. Zunächst versuchte ich die Zeichenfolge aus der Ferne spanisch/italienisch/arabisch zu entziffern, doch beim Näherkommen lösten sich die Verständnisschwierigkeiten beim Durchschauen der aufgetragenen Übermalung schnell auf … 🤓 🔠 ⁉️😃☝️

02.06.2025

Das typographische Montagsbonbon kommt heute aus Berlin. Auf dem Weg zu einer Wochenendverabredung durchquerte ich die in Charlottenburg gelegene Mommsenstraße und kam an diesem alten, verwitterten Werbeschild vorbei, das natürlich sofort geknipst werden musste.



Die Buchstaben erinnern mich an irgendwas, in meinem Kopf läutet ein leises Assoziationsglöckchen, eine vage Ahnung an einen Schriftzug, vielleicht auf einer Verpackung oder in einer Werbebotschaft aus meiner Kindheit. Irgendwas zwischen Galama, Doppelherz und Schierker Feuerstein, aber so richtig bin ich noch nicht drauf gekommen. Wenn es mir einfällt, werde ich den Beitrag entsprechend ergänzen. 



Eine kommerzielle Schrift, welche solche oder ähnliche markante Verzierungen der Anfangsbuchstaben besitzt, konnte ich ebenfalls noch nicht ausfindig machen. Im zweiten Bild – das bei Mauskontakt/Touch erscheint – habe ich das Schild einmal grob digital restauriert, sodass man erahnen kann, wie es ungefähr zum Zeitpunkt seiner Anbringung ausgesehen haben muss. Bringt überhaupt noch jemand Schuhe zur Reparatur? Im Zeitalter von Fast Fashion und Discountern wie RENO oder Deichmann könnte ich mir gut vorstellen, dass auch dieser Service heutzutage spürbare Auftragseinbußen hinzunehmen hat. Schade eigentlich. Den Geruch aus Leder, Klebstoff, Lösungsmitteln und Plastik, den ich noch aus solchen Werkstätten kenne, habe ich zumindest gleich wieder in der Nase … 🤓 🔠 🥾

26.05.2025

In den meisten Fällen sind die Buchstaben bzw. Wörter, die uns im Alltag begegnen, »körperlos«. Wir lesen sie schwarz, weiß oder farbig, gedruckt auf Papier, auf Monitoren und Displays, in E-Mails, als Werbebotschaften, Wegeleitung, Aushängen und Beschilderungen, in Büchern, Zeitungen oder Zeitschriften, schauen darauf, entschlüsseln Inhalt und Sinn, aber machen uns kaum bewusst Gedanken über die Form der Zeichen, ihre materiellen Eigenschaften oder den technischen Prozess ihrer Produktion bzw. Veröffentlichung.



Mit dem heutigen typographischen Montagsbonbon möchte ich meine Leser einmal dazu anregen, im Alltag bewusst(er) auf die physische Beschaffenheit von Buchstaben und Texten zu achten. Ich selbst bekomme immer dann einen besonderen Impuls dazu, wenn ihre eigentliche, ursprüngliche oder gewünschte Präsenz ungewollt ge- oder zerstört wird. Wenn elektronische Texte flackern, verschwimmen oder verpixelt sind, wenn Druckfarbe erodiert oder verblasst, wenn Folienschriften abblättern, gemalte Buchstaben Risse bekommen, wenn Leuchtbuchstaben erlöschen – also immer, wenn äußere Einflüsse die Hauptaufgabe von Buchstaben, uns Inhalte zu vermitteln, stören, erschweren oder verunmöglichen.



Als Beispiel füge ich zwei Fundstücke bei, die das sehr schön verdeutlichen: Erstens: eine Beschilderung, die zwar einerseits für eine technische Funktionsprüfung wirbt, aber sich selbst bereits dem Ende ihrer Funktionalität nähert. Und zweitens: ein Buchstabe, dessen dreidimensionale Umsetzung plötzlich dadurch besonders auffällig wird, dass man nicht mehr nur 𝘢𝘶𝘧 ihn, sondern 𝘪𝘯 𝘪𝘩𝘯 𝘩𝘪𝘯𝘦𝘪𝘯 schauen kann. Denn wann bekommt man schon mal einen Blick ins Innenleben eines C? 



Denkt mal drüber nach! 😉 🤓 🔠

03.03.2025

Am heutigen typographischen Montagsbonbon bin ich im Laufe der letzten 3–4 Jahre sicherlich schon dutzendmal vorübergefahren. Aber erst letzte Woche bot sich Muße und Gelegenheit, in dem betreffenden kleinen brandenburgischen Dorf diesmal kurz mit dem Auto anzuhalten und den Schriftzug abzufotografieren. Ich habe keine Ahnung, wie alt die Beschriftung ist, was genau sich hinter der rostroten Tür verbirgt, welchen Zweck der Gebäudekomplex hat(te) – und vor allem: wo sich wohl »Trafo I« befindet. Aber die handgemalten Buchstaben gefallen mir und deshalb möchte ich sie hier gerne teilen. 🤓 🔠

10.01.2025

Das typographische Fundstück der Woche entdeckte ich diesmal in der Nähe der Hamburger Grindelallee, auf dem Weg zu einem Termin. Ich war bewusst eine Bushaltestelle früher ausgestiegen, um den restlichen Weg zu Fuß zurückzulegen, weil ich in diesem Viertel selten umherstreife und darauf gehofft hatte, vielleicht neue Motive für diese Rubrik zu finden. 🙂



Natürlich erkennen wohl die Meisten sofort, dass die Buchstaben die Wortmarke einer bekannten deutschen Spirituose repräsentieren, aber interessant ist, dass dies überhaupt so gut funktioniert, obwohl ganze 5 der 12 Buchstaben (> 40%) der kompletten Wortmarke fehlen. Die Buchstabenabstände sind komplett »Freestyle«, die Grundlinie tanzt und die oft über dem Schriftzug platzierte Bildmarke mit dem Hirsch fehlt hier. Trotzdem erkennen wir: »Jägermeister«.



Die Wiedererkennung funktioniert auch ungeachtet dessen, dass von der Wortmarke verschiedenste offizielle und inoffizielle Farbvarianten in Umlauf sind: Auf den bekannten Likörflaschen steht sie in der aktuellen Version in einem dunklen Braun auf orangefarbenem Hintergrund und ist zudem mit einem ecrufarbenen und einem terracottabraunen Schatten versehen. Auf der Website ist sie im Header weiß auf dunkelgrün, woanders steht Terracottabraun auf Orange. Es gibt, von der Marke selbst, Produktvarianten mit weißem Schriftzug auf Schwarz, Braun auf Gold oder Weiß auf Rotbraun. Im Netz kursieren veraltete oder user-generierte Varianten in Schwarz, dunkelgrün, mit Buchstabenkontur oder Schatten ebenso wie ohne all dies. Man findet die Wortmarke in Dunkelgrün auf Orange, in Ecru auf Dunkelbraun, in Grau, Hellgrün und sogar Pink. Der Wiedererkennbarkeit der Marke tun diese »Remixe« jedoch keinen Abbruch.



Für mich ist das ein Indiz für eine starke Marke und eine unverwechselbare, eigenständige Gestaltung. Die auf den ersten Blick etwas aus der Zeit gefallene Typographie mit ihrer kantigen, gebrochenen Schrift ist sicherlich hauptverantwortlich für die Robustheit dieser Marke. 



Ich meine, die Auswahl einer passenden, markanten Schriftart (oder sogar eine eigens gezeichnete Wortmarke wie hier) kann immer maßgeblich zum Fundament einer starken Marke beitragen. Selbst wenn Kunden oder Fans den Schriftzug mal so malträtieren sollten wie auf dem Foto. 😉 🤓 🔠 



Jägermeister Logo-Historie:


➡️ https://1000logos.net/jagermeister-logo/

20.12.2024

Auch das dieswöchige typographische Fundstück hat wieder einige Jahre »auf dem Buckel«. Denn fotografiert habe ich es einerseits bereits im März 2004 während eines Urlaubs im Peak District, Derbyshire, Großbritannien, genauer: im beschaulichen Ort Hartington (der sich übrigens in einer bedeutsamen Region der Herstellung der bekannten englischen Käsesorte Stilton befindet), und andererseits reicht die Entstehungszeit einiger örtlicher Gebäude, z.B. einer Kirche und eines Schlosses, bis ins Mittelalter zurück (11.–13. Jh.). Auch auf dem malerischen Friedhof des Ortes finden sich zahlreiche uralte, teils komplett verwitterte Grabsteine. Das im Bild gezeigte Exemplar ist zwar nicht ganz so betagt, dafür aber typographisch interessant.



Zugegeben: ein solches Grabmal an sich ist zwar nicht gerade ein besonders weihnachtliches Beitragsmotiv (es ist ja auch noch ein paar Tage hin), aber ich finde, wenn man etwas genauer hinschaut, hat die Schönheit der Buchstaben der Inschrift durchaus etwas Feierliches und Festliches. Insbesondere die Zeilen in der ungewöhnlichen Frakturschrift finde ich ausgesprochen schön (das M, das g und das Y!) und könnte mir durchaus vorstellen – sofern diese Schriftart überhaupt jemals abseits solcher Inschriften zur Verwendung für Satz und Druck aufbereitet wurde – mit ihr sogar weihnachtliche Einladungen oder Grußmotive zu gestalten. 🤓 🔠


15.11.2024

Ich finde, Korrosion, Verwitterung, Deformation und Lädierung können sehr kreative Gestalter sein. Wenn vormals intakte, sorgsam gestaltete bedruckte Oberflächen oder Werbemedien von rohen Kräften malträtiert werden, entstehen oft spannende, neue Formen, »Designs« und Kompositionen.



Aus meiner Sammlung typographischer Fundstücke habe ich heute zu diesem Thema einige Beispiele herausgesucht. Sie stammen aus Regensburg, Edinburgh, Kopenhagen, dem Havelland und Berlin. Ganz schön kaputt! 🤓 🔠

03.10.2024

Eine meiner Lieblingskategorien bei den typographischen Fundstücken sind  historische Werbemalereien auf Fassaden. Denn sie erzählen mir, leise flüsternd, Geschichten darüber, wie sich Orte, Gebäude, Straßen oder Stadtviertel verändert haben. Die Tür unter dem Motiv lässt keinen Zweifel: Das einst dort ansässige Geschäft »M. Larsenˢ Hørkramhandel« ist längst geschlossen. So etwas macht mich neugierig. Was ist ein »Hørkramhandel«? Das Wort »kram« findet sich auch im deutschen Begriff »Krämerei«, es geht um allerlei Waren rund um einen Dachbegriff. So bekommt man in einem dänischen Geschäft für »Isenkram« – Eisenwaren, also verschiedenste Gebrauchsgegenstände wie Werkzeuge, Schrauben, Beschläge und Scharniere, Haushaltsgeräte, Handwerkerartikel usw.

Unter »Hørkramhandel« (= »Flachshandel« oder »Leinenhandel«) verstand man in Kopenhagen den Handel mit einer Reihe verschiedener Waren wie Petroleum, Bastmatten, Teer, Steingut/Töpferwaren, Salz/Pökelsalz, Hopfen, Flachs, Hanf, Pech, Teer, Eisen, Kupfer, Zinn und Blei, wie sie offenbar vorrangig im Hafen tätige Kunden wie z.B. Schiffsbesitzer, Proviant- und Konservenfabrikanten, Handwerker, Werkstätten, Lagerhäuser oder Brauereien benötigten.



Im Nu geht das Kopfkino an, Bilder aus »Moby Dick« oder den Erzählungen von Charles Dickens klingen an, es riecht nach Meer, Fisch und Kohlefeuer. Und das alles nur wegen einer alten verwitterten Beschriftung …



Wikipedia-Artikel »Kram«:
➡️ https://de.wikipedia.org/wiki/Kram

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