verknallt in Schrift und Buchstaben

Kategorie: Handwerkskunst (Seite 4 von 4)

In dieser Rubrik wurde Schrift nicht zweidimensional gedruckt, gemalt oder aufgeklebt, sondern gemeißelt, geschmiedet, gefräst oder gelasert. Und das hat sichtbaren Einfluss auf ihre Formgebung.

03.05.2024

Als Hamburger mit Zugriff auf den gut getakteten ÖPNV besitze ich kein Auto und lege meine Wege innerhalb der Stadt zu Fuß, mit dem Rad oder Bus & Bahn zurück. Meine Erfahrung daraus ist: Ich sehe dadurch mehr von der Stadt, was mir auf Autofahrten entgangen wäre. Fahrten mit dem Auto innerhalb der Stadt sind meiner Meinung nach viel stärker fokussiert auf Start- und Zielpunkt. Auf der Wegstrecke von A nach B muss man sich als Fahrer auf den Verkehr konzentrieren oder beschäftigt sich anderweitig durch Musikhören oder Gespräche mit Beifahrer*innen. Ein Parkplatz wird meist möglichst nah an der Anfangs- und Endposition gesucht, sodass längere Fußwege zwischen Fahrzeug und Destination meist entfallen. Die Fahrstrecke an sich ist oft ein nebensächliches, notwendiges »Übel«.



Beim Radfahren und insbesondere beim zu Fuß gehen habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Ich bewege mich mit gemächlicherem Tempo, habe mehr Gelegenheiten zum Betrachten der Umgebung und mehr Muße, die zurückgelegte Strecke selbst als Teil meines Weges zu erleben. Ich kann auch mal in Sackgassen, auf Schleichwege, schmale Gassen und Seitenstraßen ausweichen und komme an Orten vorbei, die mir mit dem Auto nicht zugänglich wären oder verborgen blieben. Das gefällt mir.



Auf einem kleinen Einkaufsstreifzug in der Mittagspause entdeckte ich so fußläufig die beiden »Typographischen Fundstücke« dieser Woche: die Sockelbeschriftung der Brücke am »Ring 2« über die Fuhlsbüttler Straße (die Graffiti wurden zugunsten des Fokus auf das Hauptmotiv entfärbt) und eine Gebäudebeschriftung oberhalb eines durchfahrbaren Portals in einem Wohnblock.



Auch dafür kann »Entschleunigung« im Alltag gut sein. 🙂 🔠 



16.02.2024

Das aktuelle Fundstück der Woche ist tatsächlich schon über 20 Jahre alt und zeigt eine wunderschöne reliefartige Ladenbeschriftung an einer Hausfassade in Eisenach. Fotografiert wurden die Motive Anfang November 2003 und es stellt sich die Frage, ob dieses Kleinod mit seinen zauberhaft ausgearbeiteten, sehr eigenständigen Buchstabenformen (ich schätze, etwa um 1925) heute überhaupt noch existiert. Vermutlich wurden die Schriftzüge seinerzeit eigens für den Laden entworfen und dreidimensional angefertigt (gemeißelt? gegossen?). Ich bin froh, dass ich dieses Kunstwerk damals fotografisch festgehalten und dadurch bewahrt habe.



Update: Das Haus in der Marienstraße 19 steht tatsächlich noch und auch die Inschrift ist noch da. Ich konnte das Architektenbüro ausfindig machen, welches das Gebäude saniert hat, und auch bei Flickr findet sich ein Foto von Ende Mai 2023, auf dem das Haus in neuem (mintgrünen) Glanz zu sehen ist:



➡️ https://plewka-architekten.de/projekt/wohn-und-geschaeftshaus-eisenach



➡️ https://www.flickr.com/photos/monsieuradrien/53027855725/in/album-72157719648312294/

26.01.2024

Das Fundstück der Woche ist diesmal »brandneu«, es wurde am vergangenen Sonntag in der Hamburgischen Staatsoper entdeckt. Ein wunderschön schlichtes Metall-Emblem, das sich im Treppenhaus in jeder Etage auf den Abdeckblenden der Verschläge zur Brandbekämpfung befindet. Da das Gebäude der Staatsoper erst 1955 erbaut wurde, bezieht sich das Datum auf der Metalleinfassung vermutlich auf den Handwerksbetrieb, der die Installation vornahm.

22.12.2023

Das Motiv zum Weihnachtsfest ist diesmal kein Zufallsfund, sondern eine Serie von 10 »Architektur-Schnappschüssen«, die ich während einer kleinen Fotosafari durch Hamburg gesammelt und zu einem Festgruß kombiniert habe. Ich wünsche allen Mitlesern meiner kleinen Rubrik hier schöne Weihnachtstage und ein paar erholsame Tage abseits von Office, Business und Terminen! 🎅🎄🎁👼🍽🍷🍀

08.12.2023

Das heutige Fundstück stammt diesmal aus Berlin, wo ich mich häufig aufhalte und bei der An- und Abreise jedes Mal am Treptower Park am Portal des »Sowjetischen Ehrenmals« vorbeikomme. Die deutsche Version der dortigen Inschrift weist – mal völlig abgesehen von den politischen und zeitgeschichtlichen Aspekten des Bauwerks, seiner Errichtung sowie dem Wortlaut und Inhalt der Inschrift – zwei typographische Details auf, die mir jedes Mal auffallen.

Eigentlich gehören in Stein gemeißelte Inschriften mit zu den langlebigsten Arten, die es gibt, um schriftliche Botschaften zu hinterlassen und somit auch, einem Text typographisch Form zu geben. Da ist es im Allgemeinen üblich, dass sich die Urheber und ausführenden Steinmetze besondere Mühe geben, die Schrifttype sorgfältig auswählen, vielleicht sogar eigens eine Schriftart entwerfen, die Zeilen und Buchstaben ästhetisch anordnen, auf Abstände achten und den Zeilenumbruch behutsam takten. Denn das, was dort eingraviert wird, wird meist noch nach Jahrzehnten von nachfolgenden Generationen zu lesen sein.



Hier jedoch wurden die Lettern des Wortes UNABHÄNGIGKEIT, um noch in die Zeile passen zu können, fast brachial zusammengeschoben und in der folgenden Zeile sogar – was bei gemeißelten Texten meines Wissens eigentlich als Fauxpas gilt – das Wort HEI-MAT in der Mitte getrennt und in eine neue Zeile umbrochen.



Ich frage mich, was wohl der Grund dafür war. Hast oder Zeitdruck bei der Anfertigung? Unkenntnis, Unwille, Gleichgültigkeit oder Unvermögen? Eine Order »von oben«, der nicht zu widersprechen war?

Vielleicht kann ja einer der Leser hier noch Details zu diesem vermeintlichen handwerklichen Makel beitragen oder womöglich gibt es ja auch anderswo noch steinerne Inschriften, in denen ohne Bedenken Worte getrennt oder ähnlich grenzwertig spationiert wurden.

27.10.2023

Diesmal ein echt »antikes« Foto aus meiner Sammlung, geknipst in Berlin am 04. Oktober 2008 in der Nähe der U-Bahnstation Spittelmarkt. Die Buchstaben einer Leuchtreklame waren abmontiert und in einem Gewerberaum zwischengelagert worden, den man durch ein großes Schaufenster vom Bürgersteig aus einsehen konnte. Die Datei auf meiner Festplatte trägt den Namen »CIMG3710_Typofriedhof.jpg«.

Ich habe diese Woche mal ein wenig recherchiert, ob ich 2023 noch herausfinden kann, zu welchem werbenden Unternehmen die Lettern damals gehörten, und siehe da – es war das Modegeschäft EBBINGHAUS. Auf Wikipedia findet sich ein Bild des Gebäudes mit dem kompletten Schriftzug vor der Demontage und das A aus dem Schriftzug wurde sogar vor der Entsorgung bewahrt und befindet sich jetzt im Berliner »Buchstabenmuseum«.

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