Am ersten Abend meiner kürzlichen Reise nach Freiburg galt es, ein Restaurant fürs Dinner zu finden, spontan und ohne Reservierung. Die Kombination aus einer vielversprechenden Speisekarte und einem freien Tisch fand sich schließlich im Hotel & Restaurant »Der Kaiser«. In einem der größeren Gasträume saß ich dann direkt neben einer antiken Anrichte, in deren verglasten Fächern einige sporadisch verteilte historische Deko-Geschirrstücke standen – darunter auch diese große Steingut-Vorratsdose mit der eingebrannten Aufschrift »GRAUPEN«.
Die schablonenartigen, kantigen Jugendstil-Lettern, ihre spannende Kombination aus Geometrie und handwerklichen Unregelmäßigkeiten und die harmonisch kombinierte Farbpalette des Ornaments darunter ließen mich das rustikale Objekt als Fotomotiv für die Rubrik des typographischen Montagsbonbons auswählen. Nach dem Bezahlen traute ich mich dann, in einer Hauruckaktion die Vitrine für zwei Sekunden aufzuschließen (um hinter die Reflexionen auf der Glasscheibe zu kommen) und aus der freien Hand einen schnellen, aufgrund des gedämpften Lichts leider etwas unscharfen Schnappschuss zu machen.
Einander ähnliche Varianten dieser Schrift sind auf Vorratsbehältern vergleichbaren Alters häufiger anzutreffen, wie eine Bildersuche mit den Wörtern »Jugendstil«, »Vorratsdose«, »Steingut«, »Porzellan«, »Keramik« ergab. Ein Foto mit weiteren Behältern aus der gleichen Serie oder eine exakt entsprechende kommerzielle Schriftart fand ich leider nicht.
Den verwackelten Schriftzug im Foto habe ich nachträglich etwas restauriert und parallel auch noch mal frei nachgezeichnet. Kennt eigentlich noch irgendjemand das »Oma-Food« Graupen? Isst das noch wer? Ich habe sehr lange keine gegessen, aber man kann damit, glaube ich, ziemlich fein kochen. 🤓 🔠
Ich bin immer noch ein bisschen frustriert. Vorletzte Woche ergab sich für mich die Gelegenheit für eine Kurzreise nach Freiburg im Breisgau mit einigen schönen kulturellen Unternehmungen am Wochenende. Anreise am Mittwoch, fünf Tage Aufenthalt, Abreise am Mittwoch darauf. Doch wie das Schicksal es wollte, spürte ich schon am Freitagmorgen erste Anzeichen einer starken Erkältung nahen, die mich gen Abend zur Bettruhe zwangen. Am Samstag versuchte ich, mich mühevoll mit Medikamenten im aufrechten Gang zu halten. Ein Fehler offenbar, denn der Preis war ein kompletter Sonntag im Bett. Erst am Montag war Besserung spürbar. Und so entgingen mir auch etliche Stunden, die ich ansonsten in der geschichtsträchtigen Stadt umhergestromert wäre, um neues Futter für meine Fundstücksammlung zu erhaschen. 😒
Nichtsdestotrotz stand aber noch am Donnerstag vor dem Siechtum ein Tagesausflug nach Basel auf dem Plan. Und dort erspähte ich auf dem Weg durch die Gassen an einem großen, offiziell aussehenden und teilweise wegen Bauarbeiten eingerüsteten historischen Bauwerk, an den Seiten einer Toreinfahrt, dieses famose handgemalte, dreisprachige Verbotsschild:
Allein dass pro Sprache eigens verschiedene Schriften zur Anwendung kommen, begeisterte mein Typo-Herz. Dass diese Schriften dann auch noch – jede für sich – viele wundervolle kleine Besonderheiten besaßen, ließ es noch höher schlagen. Der eingerollte Schnörkel beim h und das elegant geschlaufte a bei den deutschen Zeilen. Das kalligraphisch geschwungene P und die oben offene a-Form im französischen Text. Und nicht zuletzt die avantgardistischen g und das abgewinkelte t bei dem italienischen Schriftzug. Wie schön!
Was war das für ein Gebäude? Warum die drei Sprachen trotz der größtenteils deutschsprachigen Basler Bevölkerung? Was war wohl die Motivation zur Auswahl genau dieser drei Schriften? Meine Neugier war mal wieder geweckt.
Bei dem Gebäude, so fand ich heraus, handelt es sich um die ehemalige Basler Hauptpost. Seit Ende August 2023 und noch voraussichtlich bis Dezember 2025 wird der sechsstöckige denkmalgeschützte Komplex nach Entwürfen des Architekturbüros Herzog & de Meuron zu einem edlen Laden- und Bürogebäude umgebaut und saniert. Die abgebildete Inschrift fand ich seitlich einer Toröffnung an der Westfassade in Höhe der Gerbergasse 13, rechts unterhalb des von einem Staffelgiebel gekrönten Eckvorbaus (Risalit). Auf einem aktuell im Rahmen der Bauarbeiten veröffentlichten Foto kann man die Stelle sehr gut sehen.
Das Bauwerk hat eine lange zurückreichende Geschichte. In seiner vor der Renovierung bestehenden Form wurde es in mehreren Bauphasen 1851–53/1881 aus rotem Saverner Sandstein auf dem Gelände eines ehemaligen Kaufhauses (!) aus dem 14. Jh. erbaut. Das historische Portal dieses Kaufhauses sowie ein Original-Relief aus dem Jahr 1572, auf dem zwei Basilisken das Basler Wappen halten, sind bis heute erhaltene Bestandteile des Gebäudes.
Doch im späten 20. Jahrhundert, der Ära des Online-Banking und digitaler Frankiermöglichkeiten, ereilte das mondäne Postgebäude mit seiner großen neogotischen, von gusseisernen Säulen getragenen Schalterhalle dasselbe Schicksal wie viele andere Publikumsbauten von Banken und Postunternehmen. Die Kundenzahlen sanken, der Schalterbetrieb und die riesigen Flächen rentierten sich nicht länger, der repräsentative Bau wurde unwirtschaftlich. Im Jahr 2016 wurde die Schließung der Hauptpost angekündigt, fünf Jahre später, am 12. November 2021, waren die Schalter dort letztmals geöffnet.
Mit den Baudaten des Postgebäudes im späten 19. Jahrhundert haben wir nun schon einmal einen plausiblen Hinweis auf die Entstehungszeit des Verbotsschildes. Die Dreisprachigkeit darauf wollte ich als Nächstes ergründen.
Zwar wird in Basel seit langer Zeit überwiegend Deutsch gesprochen, jedoch wurden kurz vor der Errichtung des Gebäudes mit der Schweizer Bundesverfassung von 1848 Deutsch, Französisch und Italienisch zu den drei gleichberechtigten Landessprachen erklärt; 1938 kam das Rätoromanisch als vierte Landessprache dazu. Im Jahr 1900 hatte der Kanton Basel-Stadt 112.227 Einwohner, davon gehörte die Mehrheit (95,1%) zu den Deutsch sprechenden, nur ein kleiner Teil entfiel auf Französisch (2,3%) und Italienisch (2,1%). Die Mehrsprachigkeit auf der Tafel liegt also sehr wahrscheinlich in dieser offiziellen Sprachregelung begründet.
Die spannendste Frage ist nun die nach der Motivation des Schildermalers zur Auswahl und Formgebung der genutzten Schriftarten. Dazu kann ich folgendes sagen:
Die Schrift der deutschen Zeilen ist wohl eine damalige zeitgenössische Interpretation einer gebrochenen sog. »Textura«-Schrift mit linearen sowie ornamentalen Verzierungen an vielen Zeichen sowie charakteristischen »Spornen« an den Stämmen mancher Initialen. Textura-Schriften gehören in ihrer Originalform zu den ältesten gebrochenen Schriften. Ihre kantigen Buchstabenformen lassen eindeutig deren Ursprung im manuellen Schreibprozess mittels einer Breitfeder erkennen. Die Bezeichnung »Textura« deutet an, dass das sehr gleichförmige Schriftbild bei längeren Texten optisch wie ein gewebeähnliches Muster erscheint.
Ziemlich ähnliche Buchstabenformen konnte ich bei zwei heute kommerziell erhältlichen Schriften finden. Zum einen die »Blackletter 686« (Bitstream, 1964) / unter anderem Namen als »London Text« erschienen (Berthold, 1974?). Der Gestalter bzw. Urheber ist leider unbekannt. Die zweite, erst kürzlich erschienene ähnliche Schrift ist die prächtige »Altwien« (2020) von Christoph Zeugswetter, inspiriert von alten Straßenschildern in Wien und Salzburg.
Die ebenfalls deutlich handschriftlich anmutende Schrift des französischen Textes ist eine sog. »Ronde«-Schrift (»L’écriture ronde française«, in England »French script«, in Deutschland »Rundschrift«), die sich im Laufe des Barock aus verschiedenen handgeschriebenen Varianten gotischer (Kursiv)schriften entwickelte. Sie wurde oft sehr aufrecht, fast ohne Neigung geschrieben und in Frankreich bis ins 20. Jahrhundert hinein im Schulunterricht als Schreibschrift gelehrt.
Auch für die Buchstaben dieser Inschrift finden sich bei einigen käuflichen Schriften sehr eng verwandte Zeichenformen: Mein Favorit ist die »Bon Mot« (Nick Curtis, 2006). Auch heute noch recht populär ist die formverwandte »French Script« – eine von mehreren ähnlichen veröffentlichten Schriften, die sich an eine Vorlage namens »Parisian Ronde« anlehnen, welche 1878 von der Chappelle Foundry in Paris veröffentlicht wurde. Inspiration dafür waren wohl Handschriften und Gravuren, die zu jener Zeit in offiziellen Ankündigungen oder formellen Einladungen häufig genutzt wurden. Weitere Versionen dieser Ur-Schrift folgten rund um die Entstehungszeit der Hauptpost bis etwa 1905 u.a. unter den Namen »Inland French Script«, »French Plate« und »Typo Upright«.
Schulausgabe eines Übungsheftes von 1875 zum Erlernen der Deutschen Rundschrift, herausgegeben von Friedrich Soennecken. Bildquelle: Kulturverein Guntersblum | Lizenziert unter CC BY-NC-SA
Am wenigsten fündig wurde ich bei der Recherche zu Ursprüngen und Ähnlichkeiten des italienischen Schriftzuges. Er ist eine für die damalige Zeit bemerkenswert moderne, handgezeichnete Mischung aus einer serifenlosen Groteskschrift (bei s und a) und einer serifenbetonten Linear Antiqua oder »Egyptienne« (mit breiten Serifen bei P/p i, b und t). Vermutlich ließ sich der Schildermaler vom Stil ähnlich gestalteter, plakativer »Reklameschriften« jener Zeit inspirieren, die sich damals – neu aus England kommend – im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert über ganz Europa ausbreiteten. Entfernt ähnliche Formmerkmale – speziell die Mischung aus Buchstaben mit (B, F, P) und ohne Serifen (V, W, X) – finden sich interessanterweise bei der über 100 Jahre später erschienenen »Triplex Serif« von Zuzana Licko (Emigre, 1989).
Ein Detail, das noch auffällt, ist, dass jeweils die Schrift in der zweiten Zeile jedes der drei Texte größer angelegt ist als in der ersten. Das wäre logisch, wenn diese Akzentuierung durchgehend das Wort für VERBOTEN beträfe, aber in der deutschen Zeile ist es DURCHGANG. Auch ein optischer Ausgleich der Zeilenbreiten kann nicht der Grund sein, denn die zweite deutsche Zeile wird durch die Vergrößerung sogar breiter, lediglich beim französischen und italienischen Textblock ergibt sich ein gewisser optischer Ausgleich. Insofern bleibt diese Ungleichheit ein Kuriosum, dessen Grund sich nicht nachvollziehen lässt.
Ich hoffe, der Recherchebericht »bis zum Ellenbogen« zu diesem feinen historischen schweizerischen Fundstück war heute nicht allzu speziell. Wer trotzdem darüber hinaus etwas mehr nachlesen mag, findet nachfolgend noch einige Links. 🤓 🔠 🇨🇭
»Nimm zwei!«, dachte ich mir bei der Auswahl der Bildmotive für das heutige typographische Montagsbonbon und wählte zwei grandiose Exemplare historischer Ladenbeschriftungen. Bild 1 (»Tabak«) fand ich erst kürzlich auf einem Fußweg durch Berlin-Kreuzberg, Bild 2 (»Böhmer«) schon vor geraumer Zeit in der Innenstadt von Lemgo. Besonders das markant-dynamische, selbstbewusste k im ersten Bild gefällt mir außerordentlich gut. 🤓 🔠 🤩
2021 präsentierte der Satiriker Jan Böhmermann in seinem Magazin »ZDF Magazin Royale« ein Musikvideo ⬇️ mit dem Titel »Wieso hört der Fahrradweg einfach hier auf?«. Genau dieser Songtitel kam mir in den Sinn, als ich vor einigen Tagen in Hamburg die Fußgängertreppe zwischen der Straße »Palmaille« und dem Altonaer Fischmarkt hinabging und an der Fassade des am Weg liegenden Gasthauses »Zum Elbblick« eine Gedenktafel mit einer für mich sonderbar formulierten Inschrift las. »BAUSTEINE WURDEN AUS SPARGROSCHEN DER HAMBURGER SPARCASSE VON 1827« stand dort – und ich dachte: »Und – was wurden die? Gekauft? Gesponsort? Eingeschmolzen? Finanziert?« Der Satz klang für mich merkwürdig abgeschnitten bzw. unvollständig. Daraufhin fotografierte ich diese Tafel – das heutige typographische Fundstück – und recherchierte dem eigentümlichen Text hinterher.
Die benannte »Hamburger Sparcasse von 1827«, so fand ich heraus, wurde im benannten Jahr und auf Initiative einem Hamburger Senators mit dem hinreißenden Namen Dr. Amandus Augustus Abendroth (1767–1842) von Hamburger Bürgern gegründet. Sie betätigte sich, wie ebenfalls zu lesen ist, unter anderem an der Bereitstellung von Geldern und Krediten zur Finanzierung von Wohnungsbauprojekten in der Hansestadt. Dieses Kapital wurden offenbar auch – zumindest teilweise – über durch den Verkauf sogenannter »Bausteine« sowie aus Lotterie-Erlösen erwirtschaftet. Wann das Gebäude des Gasthofes errichtet wurde, konnte ich zwar nicht herausfinden, wohl aber, dass sich in Hamburg und anderen Städten seit etwa Ende des 19. Jahrhunderts und bis weit in die 1980er-Jahre hinein sogenannte »(Kneipen-)Sparklubs« großer Beliebtheit erfreuten. An vielen Orten der Zusammenkunft, teils in Wirtshäusern, manchmal auch an Arbeitsstätten, brachten die Mitglieder sogenannte »Sparkästen« an, die von den Geldinstituten bereitgestellt wurden und in die jeder Einzelne – mehr oder weniger beschwipst und/oder großzügig – Geldbeträge in den Schlitz seines persönlichen Spar-Faches einwerfen konnte. Sparklubs vereinbarten einen wöchentlichen Mindest-Sparbetrag, viele Klubs verhängten sogar Strafen über säumige Sparer. Auf einem historischen Foto von 1962 ist zufällig ein solcher Sparkasten genau der obengenannten »Hamburger Sparcasse von 1827« in einer Kneipe zu sehen.
Die Sparkästen wurden gewissenhaft wöchentlich geleert, die Beträge jedes einzelnen Sparers sowie die Strafzahlungen auf einer offiziellen »Sparkarte« notiert und die Gelder anschließend bei der jeweiligen Bank eingezahlt. Diese Beträge – und hier führen meine Schlussfolgerungen wieder zurück zu der Tafel des heutigen typographischen Fundstücks – wurden üblicherweise als »Spargroschen« bezeichnet. Ich nehme also an*, dass ein Teil der aus den Gewinnen der Bank bereitgestellten Baukosten für das Gasthof-Gebäude (auch) durch das ersparte Kapital solcher Sparklubs zusammengekommen sein könnte und die Hinweistafel dies bekunden und daran erinnern sollte.
(* Sollte eine[r] der hier Mitlesenden tiefere oder anderweitige Kenntnisse zu dem Sachverhalt haben, freue ich mich natürlich über Ergänzungen und/oder Korrekturen!)
»… von den Anfängen an waren die Sparkassen in gleich zweifacher Hinsicht dem Gemeinwohl verpflichtet. Zum einen konnten sie auf lokaler Ebene Kredite für wirtschaftliche und öffentliche Unternehmungen bereitstellen, zum anderen waren sie laut Satzung gehalten, ihre Gewinne zum Wohle der Allgemeinheit in Wohltätigkeit und Kulturförderung zu investieren.«
Doch zurück zu der sonderbaren Formulierung. An einem ganz anderen Ort, auf einer schwedischen (!) Website, fand ich dann noch ein zweites, emailliertes Schild derselben Sparkasse – und auf diesem wurde der sinngleiche Satz in einer abweichenden Wortfolge formuliert. Dort steht (übrigens ebenfalls in einer sehr schönen Schriftart): »Spargroschen bei der Hamburger Sparcasse von 1827 wurden Bausteine«.
Aha! Am Ende der aus heutiger Sicht etwas yodahaft klingenden Inschrift »meiner« Gedenktafel fehlte also gar nichts! Statt »BAUSTEINE WURDEN AUS SPARGROSCHEN DER HAMBURGER SPARCASSE VON 1827« könnte man ihn auch lesen als »Aus Spargroschen der Hamburger Sparcasse von 1827 wurden (die) Bausteine (dieses Gebäudes)«. Nun wurde mir die Bedeutung klar.
Die Schriftart auf der Tafel konnte ich leider nicht bestimmen, sie lehnt sich mit ihrem S, das wie ein gespiegeltes Z aussieht, an manche Art-déco-Schriften wie etwa »Koloss« an, die hier kürzlich bereits an einer Apothekenfassade identifiziert wurde, aber die unregelmäßigen Lettern auf der Tafel lassen vermuten, dass der Text darauf eigens und von Hand gestaltet wurde.
Ich liebe die spannenden Zeitreisen, auf die mich meine typographischen Fundstücke oft mitnehmen! 😅 🤓 🔠
Zum heutigen typographischen Montagsbonbon – einem sympathischen Wunsch aus Regensburg, dem ich mich nur anschließen kann – hätte ich eigentlich nur eine einzige, kurze Anmerkung:
Ich lese hinter »schönen Tag« definitiv ein unsichtbares Komma und das F muss natürlich klein sein! 😉 🤓 🔠 🥨
Das typographische Fundstück am Freitag kommt heute aus meinem Bestand an über das Pfingstwochenende geknipsten Bildern aus Regensburg. Als passionierter Genuss-Biertrinker wollte ich natürlich wissen, ob es 1. die Brauerei dieses Namens aktuell noch gibt und 2. falls nicht, wer aus welchem Grund diese schöne Inschrift bis heute so liebevoll erhalten hat – und begann zu recherchieren.
Antwort 1: »Jein«. Die Brauereilandschaft – vermutlich nicht nur in Regensburg – war zur Zeit der Geschäftstätigkeit dieses Betriebes (gegründet 1800) offenbar in regem Umbruch. Es wurde aufgekauft, veräußert, fusioniert, vergrößert, ausgebaut und umfirmiert, dass einem regelrecht schwindlig werden kann. Hier ein Auszug aus einer von mir rekonstruierten Chronik der Ereignisse*:
1800 Gründung der Bierbrauerei
1889 noch aktiv als »Brauerei Mathias Bolland«
1890~1893 Aufkauf durch die Jesuiten Brauerei AG (gegr. 1813). Die Gär- und Schenkbierkellereien der Bolland’schen Bierbrauerei werden anschließend zur Mälzerei umgebaut.
1922 Übernahme der Jesuiten Brauerei AG durch Brauhaus Regensburg AG (gegr. 1897)
Nach 1958 Übernahme durch die Fürstliche Brauerei Thurn und Taxis
1996 Übernahme durch die Paulaner Brauerei Gruppe
Insofern kann man sagen, die Brauerei ging zwar in anderen Betrieben auf, die bis heute existieren, wurde jedoch nie aktiv aufgrund von Insolvenz o.ä. »geschlossen«. Es gibt zudem Indizien dafür, dass in dem Gebäude von 1973 bis 1976 unter dem Namen »Bollandbräu« eine Gaststätte oder Schankwirtschaft betrieben wurde.
Antwort 2: Das Haus in der Ostengasse 26 in Regensburg-Ostnerwacht wurde im 17./18. Jahrhundert erbaut und ab 1846 mehrfach umgestaltet, aufgestockt und um Anbauten erweitert. Unter der Aktennummer D-3-62-000-893 wird es beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege offiziell als Baudenkmal geführt. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass die Inschrift bis heute so gepflegt erhalten geblieben ist (wann sie ursprünglich an dem Gebäude angebracht wurde und ob ihr heutiges Aussehen dem Urzustand entspricht, konnte ich leider nicht herausfinden).
Und obwohl die Schriftzeile auf der Fassade eindeutig handgemalt ist, wollte ich natürlich prüfen, ob ich im Netz vergleichbare oder ähnliche digitalisierte Schriften ausfindig machen kann. Die Verzierungen und Formmerkmale der Buchstaben deuten darauf hin, dass kalligraphische, also mit einer Breitfeder von Hand geschriebene Lettern als Vorlage gedient haben. Drei gebrochene Schriftarten habe ich nach meiner Recherche – und auch nur für die Kleinbuchstaben, für die B-Initialen konnte ich keinerlei Vorlage finden – als »Best Matches« in die engere Wahl genommen, obwohl keine von ihnen exakt gleich aussieht: 1. Die »Royal Bavarian« von Gert Wiescher, 2. die »Straßburg Fraktur« von Peter Wiegel und 3. die »(Neue) Theuerdank Fraktur«, ebenfalls von Peter Wiegel, in Kollaboration mit Dieter Steffmann.
Das typographische Montagsbonbon zeigt heute eine Gedenktafel aus der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, angebracht am Geburtshaus des berühmten Künstlers Caspar David Friedrich (1774–1840). Das denkmalgeschützte Haus steht mitten in der Fußgängerzone der Innenstadt und beherbergt seit 2004 das Caspar-David-Friedrich-Zentrum – das als Museum, Dokumentations- und Forschungsstätte zu Leben und Werk des Künstlers sowie der Geschichte seiner Familie dient und der Öffentlichkeit zugänglich ist.
Bei der Schriftart auf der steinernen Tafel handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Variante der »Koch-Schrift« (auch »Koch-Fraktur« oder »Deutsche Schrift« genannt), die 1910 mit ihren kräftigen, fetten Lettern das Debüt des Schriftgestalters Rudolf Koch war und in der Schriftgießerei Gebr. Klingspor erschien. Warum für ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und einen in jener Zeit geborenen Künstler der Romantik diese über 100 Jahre später entstandene Schriftart gewählt wurde, kann nur vermutet werden. Vielleicht wollten die Verantwortlichen einerseits zwar eine gebrochene Schrift nutzen, da diese in Deutschland zu Lebzeiten der Friedrichs weithin gebräuchlich waren, aber andererseits eine Variante, die mit ihren klareren Formen und alternativen Buchstaben (z.B. A vs. 𝔄) für heutige Leser ein bisschen besser entzifferbarer ist.
Rudolf Koch jedenfalls entwarf neben seiner populären Koch-Fraktur auch noch weitere, »modernere« – und bis heute genutzte – Schriften, wie z.B. die geometrische sog. Groteskschrift »Kabel«. 🤓 🔠
Auch beim heutigen typographischen Fundstück der Woche bleiben wir noch in Skandinavien, denn des Gestalters Auge (und Kamera) konnte natürlich auch im Urlaub nicht ruhen. 😉
Wie in fast jedem Sommer wechselte ich nach der Hälfte des Zeitraums den Ort und die Unterkunft. Die Reise von A nach B wurde dabei als möglichst erholsame Etappe geplant und durchgeführt, sie führte aus der westschwedischen Provinz Värmlands Län zum Fährhafen Ystad und von dort aus auf die schöne dänische Insel Bornholm. Auf der Fahrt wurden ein Frühstückshalt in einem Naturpark, mehrere Rastplatzpausen sowie ein Einkaufsstopp in der kleinen Stadt Säffle nahe dem Vänernsee gemacht.
An der Drehtür des dortigen Einkaufszentrums fiel mir sofort die plakative Wortmarke der Stadt bzw. Region auf. Die Stadt Säffle hat nach meiner Recherche ca. 8.800 Einwohner, die Gemeinde rund 15.000 und trotzdem »gönnt« sich die Verwaltung dieses vergleichsweise kleinen Bezirks zur Selbstvermarktung gegenüber Touristen, Unternehmen und Investoren ein – aus meiner Sicht ästhetisches und plakatives – professionell gestaltetes typographisches Logo inklusive variabler Claims¹, einer zum Logo passenden Hausschrift² und einem ausführlichen und fundiert ausgearbeiteten Corporate-Design-Leitfaden³.
¹ Es gibt fünf variable Claims, die bei Bedarf halbkreisförmig oberhalb des Basislogos eingefügt werden können. Unterhalb des Logos sind die Geokoordinaten des Stadtzentrums in gleicher Weise symmetrisch arrangiert. Alle Varianten werden auf der Website in mehreren Dateiformaten und Farbsystemen zur Verfügung gestellt:
»Inte en dag utan framsteg« (Kein Tag ohne Fortschritt)
»Med rötterna i skogen« (Mit den Wurzeln im Wald)
»Scenen är din« (Die Bühne gehört dir)
»Med blicken på vattnet« (Mit Blick aufs Wasser)
»Let’s go local«
² Als Hausschrift wählte Säffle die serifenlose »Neulis«/»Neulis Alt« von Adam Ladd, die mit ihrem geometrischen, klaren Formenkanon einerseits und verspielten alternativen Schriftzeichen andererseits eine schöne Bandbreite für alle Anwendungen zwischen Headlines und Copytexten zulässt und die m.E. sehr stimmig zur Wortmarke des Logos passt:
³ Das über 60 Seiten umfassende Design-Handbuch (PDF, 49 MB) macht bereits Spaß beim Anschauen und liefert in sechs Kapiteln mit ansprechenden, professionellen Fotos und Abbildungen verständliche und hilfreiche Leitlinien für die Mediengestaltung mit Logo, Farben, Schrift und begleitenden grafischen Elementen:
Das Motto der beiden Motive des heutigen typographischen Montagsbonbons lautet »Metall«. Die meisten (längeren) dreidimensionalen Schriftzüge an Geschäften, Gebäuden oder anderswo im öffentlichen Raum sind wohl aus Kunststoff angefertigt, wenige aus Holz, einige ältere Neonbeschriftungen aus Glas – und dort, wo Metall zum Einsatz kommt, sind die Zeichen mittlerweile ausgelasert oder maschinell gefräst/gestanzt. Wesentlich aufwendigere, von Hand gefertigte Metall-Schriftzüge findet man meiner Erfahrung nach relativ selten.
Hier habe ich zwei Exemplare aus meiner Sammlung herausgesucht, die ich für besonders gelungen halte: Das erste aus Barcelona, das zweite aus Lemgo. Stahl vs. Eisen, modern vs. traditionell, schlicht vs. verziert.