Das heutige typographische Fundstück ist zum einen ein sehr persönliches Schriftstück, zum anderen verdient es die Bezeichnung »Fundstück« im wahrsten Sinne des Wortes, denn es lag lange Zeit versteckt an einem speziellen Ort und wurde erst dann gefunden. Es ist ein etwa postkartengroßer Zettel aus leicht vergilbtem Papier, datiert auf den Sommer des Jahres 1978, zweimal gefaltet und von Hand mit Kugelschreiber in Kurrentschrift beschrieben. Die Schreiberin war meine Oma mütterlicherseits, sie trug den vornehm klingenden Vornamen Margarethe, wurde aber von meiner Schwester und mir entweder »Oma Gretchen« oder »Omchen« genannt. Ihre Schrift war mir schon früh vertraut, denn sie schrieb auch ihre Briefe oder Grußkarten an uns oftmals von Hand.
Die Oma lebte lange im Haus eines Onkels und einer Tante, sie hatte dort im Obergeschoss mehrere kleine Zimmer für sich. Ich erinnere mich noch gut an die sehr omagemäße Einrichtung in diesen Räumen von meinen Besuchen und Ferienaufenthalten aus Kindertagen: Beim Wippen auf dem gepolsterten Sofa hörte man das Echo der Sprungfedern im Inneren, auf dem massiven Wohnzimmer-Vitrinenschrank tickte eine Buffetuhr in einem geschwungenen hölzernen Gehäuse und daneben stand ein Hund aus Porzellan. Ich musste diesen Hund gemocht haben, denn ich weiß noch, dass ihn die Oma für mich damals oft vom Schrank holen musste. Vermutlich habe ich ihn nur vorsichtig berührt, denn Porzellan ist empfindlich und kein Spielzeug für Kinder. Er ist nicht kitschig und nicht farbig bemalt, nur ein paar graue und schwarze Farbflecken akzentuieren sein Fell und die Augen. Er trägt kein Halsband und keine Leine, er ist nicht »niedlich«, sondern elegant und von einer vornehmen Wildheit. Er sitzt nicht brav bei Fuß, sondern ist draußen unterwegs, streift durchs Gras, apportiert vielleicht einem Jäger.
Als der Text auf dem Zettel verfasst wurde, war ich elf Jahre alt. Die Oma erzählte niemandem davon, sie deponierte ihn zusammengefaltet im hohlen Sockel des Hundes, wohl wissend, dass er zu gegebener Zeit entdeckt werden würde. Neun Jahre lang sollte das dauern. Sie verstarb im Jahr 1987.
Nach ihrem Tod wurde ihre kleine Wohnung nach und nach ausgeräumt und der Hund ging, als der Zettel zutage kam, wie verfügt in meinen Besitz über. Seither steht er in jeder meiner Wohnungen in meinem Wohnzimmerschrank und ist eines der schönsten und für mich wertvollsten Erinnerungsstücke, die ich besitze. Zusammen mit diesem kleinen Stück Papier und dessen warmherzigem Text – in einer Schrift, die heutzutage kaum noch jemand lesen kann. Könnt Ihr es?
🤓 🔠 🥹


Leser dieses Artikels, die mich schon länger als 15 Jahre online »kennen«, werden sich vielleicht erinnern, dass ich zu diesem Hund und dem Omazettel bereits im November 2009 einen Beitrag in meinem allgemeinen privaten Blog veröffentlicht habe. Da der Zettel sich aufgrund seiner typographischen Besonderheit aber auch für die hiesige Seite anbietet, entschied ich mich für eine überarbeitete Wiederveröffentlichung mit neuen Fotos und angepasstem Text.
Oh, eine saubere … nun, Handschrift. Wahrscheinlich Sütterlin. (Mein liebstes Hobby: Kurrent lesen und schreiben.)
Bin sehr gerührt, danke fürs Teilen.