Diese Woche poste ich ausnahmsweise gleich zwei Beiträge. Der zweite Beitrag heute ist eigentlich keins der üblichen »Fundstücke«, sondern die Beobachtung eines typographischen Trends. Vielleicht ist dem einen oder anderen unter den Lesern auch schon aufgefallen, dass in auffällig vielen Werbemedien derzeit Schriften auftauchen mit sonderbar tiefen »Scharten« in den Buchstabenformen. Zwei Beispiele dafür sind die aktuellen Auftritte der Burgerkette »Jim Block« (Bild 1) und des Schokoladen-Start-ups »nucao« (Bild 2).



Diese eigenwillige Formgebung hat tatsächlich einen historischen Ursprung, der in einer realen Herausforderung begründet liegt, die früher™ beim analogen Druckprozess auftrat: Wurden nämlich, z.B. beim Hochgeschwindigkeitsdruck von Telefonbüchern die sehr kleinen Texteinträge – zudem auf dünnem, saugfähigen Papier – gedruckt, dann beeinträchtigte der Druckprozess die Formen der Buchstaben. Durch Pressdruck und Geschwindigkeit in der Druckmaschine sowie durch die vom Papier aufgesogene Farbe wurden die gedruckten Buchstaben fetter als die ursprüngliche Druckform. Dies führte dazu, dass kleine Zwischenräume (z.B. in a, e) zuliefen und der Text schwerer lesbar wurde. Um dies vorab zu kompensieren, erfanden Schriftgestalter die sog. »Ink Traps« – Einkerbungen in den Formen der Buchstaben, die sich beim Druckprozess gezielt mit Druckfarbe füllen, so die Buchstabenform »nachträglich korrigieren« und somit die gedruckte Schrift lesbar halten. Wie ein Porzellanteller beim Brennen um ca. 10% schrumpft und somit vor dem Einstellen in den Ofen entsprechend größer sein sollte, damit er hinterher als fertiges Geschirrstück die gewünschte Endgröße hat, wird hier bei der Schriftgestaltung gearbeitet – nur in umgekehrter Richtung.



Eine der bekanntesten Schriften mit diesem Charakteristikum ist »Bell Centennial«, 1975–78 von Matthew Carter für die US-Telefongesellschaft AT&T gestaltet (Bild 3). In Bild 4 habe ich einmal simuliert, was beim Druck einer Schrift durch »Ink Traps« geschieht. Ihre Formgebung ist sozusagen eine vorweggenommene Fehlerkorrektur. Genial, oder? 



Heute, im Zeitalter des Digitaldrucks und bei großen Werbe-Headlines, sind »Ink Traps« oft nur noch reine Zierde. Aber ich freue mich, dass dieser aktuelle Trend gerade an diesen einstigen typographischen Geniestreich erinnert. 🤓 🤩 🔠



Einige Links zu »Ink Trap« Fonts:



nucao Font »Champ«:
➡️ https://typeverything.com/champ

Jim Block Font »ABC Whyte Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/2ggu4



»Area Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/o6g4n



»GT Flexa«:
➡️ https://www.gt-flexa.com/



»Halyard Micro«:
➡️ https://www.dardenstudio.com/halyard

»Magnet«:
➡️ https://frerejones.com/families/magnet



»Neue Machina Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/af2t1



»Pleasure Inktrap«:
➡️ https://t1p.de/sm4y0



»Uxum«:
➡️ https://www.uxumuxum.com/



»Vinila«:
➡️ https://t1p.de/wy37r